Gesunde Umwelt: Ökologische Menschenrechte in einer globalisierten Welt.
Von Tilman Santarius
Erschienen als: Santarius, Tilman: Gesunde Umwelt. Ökologische Menschenrechte in einer globalisierten Welt. In: Böll Thema, III/2008, S. 29f.
Medienberichte aus Haiti, dem ärmsten Land der Welt, überbringen selten gute Nachrichten. Die Bilder der Hungeraufstände im Frühling 2008 wirkten besonders schockierend. Die Preise waren so sehr gestiegen, dass die Armen sich keine Lebensmittel mehr kaufen konnten. In der Hauptstadt Port-au-Prince besetzten sie aus Protest Straßenkreuzungen und zogen zum Präsidentenpalast, Geschäfte wurden geplündert und es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, dem Militär und sogar mit Blauhelmen. In Folge der Unruhen stürzte die Regierung der Inselrepublik. Nur, der Weltmarktpreis für Nahrungsmittel veränderte sich nicht. Das Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage und all die anderen politischen und wirtschaftlichen Faktoren, die die Nahrungsmittelpreise beeinflussen, blieben vom Hungeraufstand unbeeindruckt.
Die Krise in Haiti zeigt die enge Verschränkung von Menschenrechten und Umweltpolitik. In einer Welt endlicher Ressourcen und steigender Nachfrage entstehen Menschenrechtsverletzungen immer öfter durch Umweltzerstörung und dadurch, dass den Menschen der Zugang zu den natürlichen Gütern verwehrt wird. Staudämme für die Strom- und Wasserversorgung der chinesischen Städten nehmen den Bauern ihr Ackerland weg; der Anbau von Exporttomaten in Sénégal oder Exportblumen in Kenia machen den Bauern das knappe Wasser für die eigene Lebensmittelproduktion streitig; die Ölförderung im ecuadorianischen Regenwald verseucht den Waldboden und zerstört die Jagdgründe der ansässigen Indianer. Häufig fehlen den betroffenen Bevölkerungsgruppen Ausweichmöglichkeiten, sie haben nicht die Mittel, sich Ressourcen, die ihnen weggenommen wurden, über den Markt zurückzuholen. Was als Konflikt über Landrechte begann, wächst sich zu einem Menschenrechtskonflikt aus.
Zum anderen zeigen die Hungeraufstände in Haiti, dass Menschenrechtsverletzungen, die aus Ressourcenmangel herrühren, meist die Ärmsten der Armen treffen. Die Verursacher sitzen weit entfernt, auch jenseits der Landesgrenzen. Der Zusammenstoß protestierender Haitianer mit den UNO-Blauhelmen kann als Zeichen gelesen werden. Denn es ist nicht in erster Linie das Bevölkerungswachstum, das die Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt in die Höhe treibt. Es sind vor allem die Fleischnachfrage der Eliten in den Schwellenländern, die mit Agrartreibstoffen gefüllten Tanks der Autofahrer in den Industriestaaten und die massiven Ernteausfälle durch den Klimawandel, die die Preisspirale antreiben.
Die Hauptbetroffenen des Klimawandels sind die Länder des Südens und dort vor allem jene Menschen, die direkt von der Natur leben. Sie bekommen die destabilisierenden Folgen der Erderwärmung wesentlich schroffer zu spüren als die Städter im eigenen Land oder in den Industrieländern. Die Armen sind doppelt verwundbar: Sie sind den fragilen Naturbedingungen direkt ausgesetzt und sie sind kaum in der Lage, sich den neuen Risiken anzupassen. So wirkt der Klimawandel nicht nur als Armutsverstärker, sondern stellt letztlich einen Angriff der fossilen Wohlstandsbürger auf die Menschenrechte ganzer Bevölkerungsgruppen dar.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 spielt der Umweltschutz noch keine Rolle. Genauso wenig taucht er im Internationalen Pakt über die politischen und bürgerlichen Rechte oder im Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte auf, die 1966 beschlossen wurden. Das war noch bevor das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ 1971 die Endlichkeit der Ressourcen in die öffentliche Debatte trug. Mittlerweile aber ist die Verschränkung von Ökologie und Menschenrechten so evident, dass dem Schutz von Naturräumen und der natürlichen Ressourcen bei der Sicherung der Menschenrechte ein hoher Stellenwert zukommen muss. Die Sicherung der Menschenrechte fällt zunehmend mit dem Schutz der Umwelt zusammen. Nichts würde die Ernährungssicherheit der haitianischen Bevölkerung auf Dauer besser gewährleisten, als eine ökologische Regeneration der extrem degradierten Böden der Insel und der (Wieder)Einstieg in eine nachhaltige Form der Landwirtschaft, so dass sich die Menschen vor Ort aus eigener Kraft versorgen können.
Nicht nur der Gedanke des Umweltschutzes ist den Menschenrechten fern. Auch dass Menschenrechtsverletzungen durch Fernwirkung erfolgen, also durch Mechanismen und Akteure, die außerhalb des Einflussbereichs der Betroffenen liegen, ist dort noch nicht berücksichtigt. Die Zuständigkeit der Staaten und Regierungen blieb auf den Schutz der eigenen Bürger beschränkt. Doch längst ist die Welt keine Arena unabhängiger, geschlossener Volkswirtschaften mehr. Mit dem Übergang von der Staatengemeinschaft zur Weltgesellschaft müssen auch die internationalen Akteure in die Pflicht genommen werden – allen voran transnational operierende Unternehmen, aber auch internationale Institutionen wie die WTO oder die Weltbank. Und Regierungen müssen nicht nur die Menschenrechte der Bürger in ihrem Land schützen, sondern zudem die extra-territoriale Verantwortung übernehmen, dass ihre Politiken nicht die Rechte von Bürgern jenseits ihrer Grenzen gefährden. Wie sonst sollte die Universalität der Menschenrechte in einer globalisierten Welt umgesetzt werden, wenn ihr nicht die Universalität der Menschenpflichten gegenübersteht?
Die internationale Politik ist noch ein gutes Stück davon entfernt, transnationale Unternehmen in einer völkerrechtlich bindenden Konvention auf die Einhaltung und den aktiven Schutz der Menschenrechte zu verpflichten. Immerhin: 2003 legte eine Unterkommission der UN-Menschenrechtskommission die viel beachteten „UN Norms on the Responsibiliy of Transnational Corporations and other Business Enterprises with regard to Human Rights“ vor. Wenn die UN-Normen in verbindliches Völkerrecht gegossen werden könnten, wäre dies tatsächlich eine Sternstunde der politischen Menschenrechtsarbeit. Doch zunächst gab es jede Menge Gegenwind aus einer Interessenkoalition von Industrie- und Entwicklungsländereliten, und einige NGOs halten die Umsetzung der UN Normen bereits für gescheitert. Der UN Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschrechte, John Ruggy, versucht mit seinem 2008 veröffentlichten Bericht nun, verstärkt über eine Weiterentwicklung der „OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen“ die Konzerne zum Einhalten verbindlicher Standards zu bringen. Vor allem sollten Betroffenen und Zivilgesellschaft in den Heimatländern der Unternehmen leichter Beschwerde gegen widrige Praktiken einreichen können. Ruggy kritisierte unter anderem die Bundesregierung, weil die Beschwerde-Stelle just in der Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums angesiedelt ist, die gleichzeitig die Interessen der Unternehmen vertreten soll.
Wenig Fortschritt gibt es allerdings bei den internationalen Institutionen wie der WTO, dem IWF, den Entwicklungsbanken, bei denen der Schutz der Menschenrechte weder in den Vertragswerken noch auf der Agenda steht. In der gegenwärtigen Doha-Verhandlungsrunde der WTO werden Menschenrechtliche Belange, wie schon der Begriff der Menschenrechte, vollständig ausgeblendet, obwohl die Verhandlungen als „Entwicklungsrunde“ begonnen wurden. Vielleicht öffnen die Hungerkrisen zusammen mit dem Scheitern der WTO, dem Bedeutungsschwund der internationalen Finanzinstitutionen und dem immer spürbareren Klimawandel einen politischen Spielraum, für eine neue Generation von Umweltschutz- und Menschenrechts-Verpflichtungen in einer globalisierten Welt zu kämpfen?