Wie viel Wasser für wen?

Von Tilman Santarius und Wolfgang Sachs

Erschienen als: Sachs, Wolfgang/ Santarius, Tilman: Wie viel Wasser für wen? In: Le Monde diplomathique, März 2005, S. 9-10.

Nirgends werden Konflikte um Ressourcen ihrem Namen so gerecht wie im Fall von Wasser. Denn der Begriff „Ressource“ leitet sich aus dem lateinischen Wort „surgere“, hervorquellen ab. Er ist als Metapher für Leben zu verstehen. Und bei Konflikten um Wasser geht es unmittelbar um Leben – und Überleben. Rund 20 Prozent aller Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, und gar 40 Prozent der Weltbevölkerung leiden an Wasserknappheit. Schätzungen zufolge werden im Jahre 2050 im schlimmsten Fall 7 Mrd. Menschen, im besten Fall 2 Mrd. Menschen an Wasserknappheit leiden.

Auf den ersten Blick mag Süßwasser noch keine globale Ressource sein. Zwar werden zunehmend Ansprüche wasserarmer Weltregionen auf wasserreiche laut, und bereits heute wird Wasser mittels Tankern, Pipelines oder Flaschen zwischen Staaten gehandelt; dennoch spielen direkte Wassertransfers internationalen Ausmaßes bislang eine untergeordnete Rolle. Indirekt allerdings findet global ein beträchtlicher Zugriff auf lokale Wasser-Ressourcen statt: etwa durch den Export von Gütern, zu deren Erzeugung Wasser vonnöten ist, oder durch die Verschmutzung von Wasser bei der industriellen Produktion. Auch dabei machen Unternehmen und Konsumentinnen ferner Länder eine knappe Ressource jenen streitig, die es für ihren täglichen Lebensunterhalt benötigen.

Bei öffentlich ausgetragenen Konflikten um Trinkwasser stehen gegenwärtig regionale Auseinandersetzungen im Vordergrund. Sie spiegeln den Streit zwischen den regionalen Eliten und der lokalen Bevölkerung wieder. Immer spielen dabei Investitionen in konkrete Projekte eine Rolle, welche erst die Strukturen hervorbringen, um Wasser von einem Ort zur Vereinnahmung an einem anderen transferieren zu können. Durch Investitionen in Infrastrukturen wie Staudämme, Kanäle oder Pipelines wird Wasser aus den Landgebieten in die kaufkräftigen Zentren umgeleitet; durch Investitionen in die verarbeitende Industrie, die Wasser im Produktionsprozess verwendet, wird es der lokalen Bevölkerung entzogen oder verschmutzt und unbrauchbar gemacht; durch Investitionen in die exportorientierte Landwirtschaft wird Wasser in Form von Feldfrüchten zu fernen Verbraucherinnen transportiert. Den Unternehmen, welche die Investitionsprojekte ausführen, geht es in erster Linie um ihren Geschäfts-Gewinne. Den Regierungen, die diese Investitionen vorantreiben, geht es um Prestige-Projekte wie auch um die Förderung der urbanen Mittel- und Oberklasse und damit des Wirtschaftswachstums. Obwohl solche Investitionen oft als Entwicklungsprojekte angekündigt werden, die vor allem den Armen nützen sollen, führen sie im Ergebnis häufig zu einer Verschlechterung der Lebenssituation der lokalen Bevölkerung.

Durchweg weisen die Konflikte um Wasser gemeinsame Merkmale auf. Es geht darum, eine lebenswichtige Ressource und die von ihr abhängigen Ökosysteme gegen die Nutzungsansprüche nicht-ansässiger Akteure zu verteidigen. Nicht so sehr aus Motiven des Naturschutzes, sondern weil die jeweiligen Naturräume – die Feuchtlandschaften, die Flüsse, ihre Täler und ihre Deltas – Lebensraum für eine menschliche Gemeinschaft bieten. Quellen, Seen und Flüsse sind ja auch ein integraler Teil jener Kulturräume, die eine Verbindung zu den Vorvätern wie zur Götterwelt herstellen. Schwerwiegende Eingriffe in diese Naturräume haben daher nie nur ökologische sondern immer auch soziale Bedeutung. Aus der Bedrohung der Gemeinschaft erwächst der ökologische Widerstand, „der Umweltschutz der Armen“, der die eigenen Lebensrechte gegenüber den fern lebenden Anwärtern der transnationalen Verbraucherklasse verteidigt. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht immer die Frage: Wem gehört dieses Wasser? Und: Haben wir ein Existenzrecht dort, wo wir hingehören?

Gefangenes Wasser

Konflikte und Proteste gegen den Zugriff auf Wasser zeigen sich am deutlichsten beim Bau von Staudämmen. Die Umformung der Natur nimmt hier besonders dramatische Formen an. Talsperren, teils riesigen Ausmaßes, fangen Wasser regelrecht ein, verändern Flussläufe, versenken Täler und zerstören bestehende Ökosysteme. Bis 1949 sind ungefähr 5.000 große Staudämme gebaut worden, drei Viertel davon in Industrieländern; am Ende des Jahrhunderts gab es schon 45.000 Staudämme in der Welt, zwei Drittel davon in Ländern des Südens. Sie wurden hauptsächlich gebaut, um die industrielle Landwirtschaft zu bewässern, aber auch, um Strom zu erzeugen und Trinkwasser für Städte zu sammeln.

An erster Stelle der dadurch ausgelösten Konflikte steht die Verdrängung von Familien und Dorfgemeinschaften. Allein zwischen 1986 und 1993 mussten schätzungsweise 4 Mio. Menschen den Dämmen weichen. Die von der Weltkommission für Dämme (WCD) zusammengeführten Fallstudien zeigen: Die negativen Auswirkungen treffen vor allem Subsistenz-Bauern, indigene Gruppen, ethnische Minoritäten und vor allem die Frauen unter ihnen, während die positiven Auswirkungen in erster Linie Stadtbewohnern, Großlandwirten und Industriebetrieben zugute kommen. Über die Ressource Wasser werden Gewinner und Verlierer aussortiert.

Besonders die Konflikte um Staudammprojekte in China entfachten eine öffentliche Diskussion. In China ist Wasser ein knappes Gut; denn China besitzt nur 6 Prozent des weltweit verfügbaren Süßwassers, aber ein Sechstel der Weltbevölkerung. Das größte Problem stellt dabei die Verteilung von Wasser und Bevölkerung dar: Mehr als Dreiviertel der Wasserressourcen befinden sich im Jangtse oder südlich davon, während rund 400 der 600 großen Städte im Norden, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes lebt, unter Wasserknappheit leiden. Daher plant die chinesische Regierung eine Reihe gigantischer Projekte, um mittels Kanälen und Pipelines Wasser aus den ländlichen Gebieten im Süden in die Ballungsräume im Norden umzuleiten.

Neben den schwer abschätzbaren ökologischen Folgen solcher Umleitungsprojekte erfordern sie massive Umsiedlungen. Nach offiziellen Angaben sollen 1,13 Mio. Menschen umgesiedelt worden sein; kritische Stimmen sprechen gar von bis zu 1,9 Mio. Die Versprechen, Land und Arbeitstätten bereitzustellen, wurden oft nicht eingehalten. Falls neues Land angeboten wurde, war es häufig von schlechterer Qualität, als das zuvor besessene. Angebotene Kompensationsleistungen wurden nicht in voller Menge ausgezahlt. Von der Umsiedlung Betroffene mussten mitunter neue Wohnstätten kaufen, die viel teurer waren, als die erhaltenen Kompensationen. Da entgegen der Planungen die Ansiedlung der heimatlos gewordenen Menschen aufgrund zu großer Bodenerosionen nicht in der Dreischluchtenregion möglich war, zwang die Regierung ca. 125.000 Menschen, sich in entfernter liegenden Regionen anzusiedeln. Diese Menschen haben neben allen anderen Problemen noch mit der Eingewöhnung in eine neue, für sie ungewohnte physische und soziale Umgebung zu kämpfen.

Virtuelles Wasser

Nutzungskonflikte entstehen auch, wenn Wasser bei der Produktion von Gütern in großen Mengen gebraucht wird. Entweder wird es verschmutzt, oder es wird in versteckter Form umgeleitet oder auch exportiert. „Virtuelles Wasser“ ist der Begriff, der angibt, welche Menge Wasser in einem Produkt enthalten oder zur Fertigung eines Produkts verwendet wird. In Anlehnung an den ökologischen Rucksack, der den gesamten Materialaufwand umfasst, wird mit dem Begriff des virtuellen Wassers sozusagen der aquatische Rucksack von Gütern und Dienstleistungen ausgedrückt.

Nahezu jedes Produkt enthält virtuelles Wasser. Die Produktion eines 2 Gramm schweren 32-Megabyte Computerchips erfordert etwa einen Wassergebrauch von 32 Litern; die Fertigung eines Automobils verschlingt bis zu 400.000 Liter – was aber auch auf 5.000 Liter reduziert werden könnte. Der größte Wassergebrauch findet in der Landwirtschaft statt, auf die 65 bis 70% des globalen Süßwassergebrauchs zurückgeführt werden kann. In einem Kilo Getreide stecken rund 1.000 bis 2.000 Liter virtuelles Wasser – je nach dem Klima der Anbauregion. In die Produktion von einem Kilo Käse fließen 5.000 bis 5.500 Liter, in ein Kilo Rindfleisch gar bis zu 16.000 Liter Wasser ein. Der Wassergebrauch von Nationen muss daher eine Bilanz des virtuellen Wassers umfassen; und der individuelle Wassergebrauch von Konsumenten kann nicht nur am direkten Wassergebrauch für Getränke, Duschen oder Autowaschen festgemacht werden. Denn ein durchschnittlicher Bürger der USA etwa nutzt allein für seinen Rindfleischkonsum täglich rund 2.000 Liter Wasser.

Der Export von Gütern mit hohem virtuellem Wasseranteil birgt ein besonderes Konfliktpotential, wenn Regionen ohnehin an Wasserknappheit zu leiden haben – so etwa bei der Blumenzucht in Kenia. Kenia produzierte im Jahr 2001 52 Mio. Tonnen Blumen für den europäischen, japanischen und nordamerikanischen Markt, während 3 Mio. Kenianer unter Wasserknappheit litten. Allein die Europäische Union importierte im Jahr 2000 aus Kenia insgesamt Blumen im Wert von 153.000 Euro. Die Blumen werden vorrangig mit Wasser aus dem See Naivasha bewässert, einem ökonomisch und ökologisch strategischen Gewässer: In und um den See leben 350 Vogelarten, Nilpferde, Büffel, Affen und andere seltene Tiere, und das Wasser dient als Tiertränke der Maassai-Nomaden. Nicht nur die Verknappung des Wassers, auch seine Vergiftung durch Dünger und Pflanzenschutzmittel stellt für sie eine Bedrohung dar. Ohne es zu wissen schmälern die Blumenliebhaber ferner Länder so jenem Teil der lokalen Bevölkerung, der nicht an den Erlösen der Blumenproduktion teilhat, die Existenzgrundlage.

Der Entzug von Wasser als virtuelles Wasser bringt nicht nur an den Rändern des Weltmarkts und im Süden existentielle Probleme für die lokale Bevölkerung mit sich. Sie kann auch Menschen mitten im Norden, auf den Hinterhöfen der globalen Verbraucherklasse bedrohen. Ein eklatantes Beispiel findet sich um die Black Mesa-Kayenta Kohlemine im Südwesten der USA. Dort zerkleinert die „Peabody Western Coal Company“, der weltweit größte private Kohleproduzent, die Kohle nach dem Abbau, vermengt sie mit (Trink-) Wasser und pumpt sie anschließend durch riesige Pipelines nach Nevada, wo sie verarbeitet oder abtransportiert wird. Die Pipeline transportiert täglich etwa 43.000 Tonnen Kohle-Schlamm, wofür Peabody stündlich über 480.000 Liter Wasser zuführen muss; der jährliche Wasserverbrauch summiert sich so auf rund 5,2 Billionen Liter Wasser. Das Wasser wird dem Navajo-Aquifer entnommen, welches in der Gegend das einzige Aquifer mit Trinkwasserqualität ist. Außerdem speist es die Mehrzahl der Quellflüsse des Black Mesa Gebiets. In dieser weithin trockenen Region ist es das Wasser der Quellen, um das sich das soziale, spirituelle und kulturelle Leben der im Black Mesa Gebiet lebenden Hopi dreht. Sie nutzen die biologische Vielfalt der Feuchtgebiete für ihre Zeremonien und verehren eine in den Quellen lebende Art der Wasserschlange. Um die größeren Quellen herum bewirtschaften sie einige Felder, während sie von dort gleichzeitig ihr Trinkwasser beziehen. Die Quellen versiegen zusehends, was zu einer Gefährdung des sozialen Lebens sowie der Landwirtschaft der Hopi führt. Untersuchungen gelangten bereits 1995 zu der Überzeugung, dass etwa zwei Drittel der Absenkung des Grundwasserspiegels auf das Konto von Peabody und deren Kohle-Produktion gehen. Bis zum Jahre 2011 ist mit dem völligen Austrocknen einer Vielzahl der Quellen der Hopi zu rechnen.

Verschmutztes Wasser

Umweltverschmutzung – so argumentieren noch heute zahlreiche Regierungen ärmerer Länder auf internationalen Umweltkonferenzen – ist in erster Linie ein Problem der Industrieländer; Umweltschutz ist daher ein Luxus, der erst mit einem gewissen ökonomischen Wohlstand erreichbar ist. Tatsächlich aber leiden vor allem die Armen überall auf dem Globus unter der Umweltverschmutzung. Denn für sie, die oft unmittelbar von der Natur leben, ist die Qualität ihrer natürlichen Umgebung eins mit ihrem Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Die Verschmutzung von Wasser stellt derzeit eine Bedrohung für etwa 1,2 Mrd. Menschen dar und führt zum Tod von rund 15 Mio. Kindern jährlich. Verschmutzung von Wasser kann lokale Ursachen haben, wie etwa die Einleitung ungeklärter Abwässer oder giftiger Rückstände aus der nahe gelegenen Landwirtschaft. Aber Abwässer und Rückstände können auch in der Ferne entstehen, und die Kontamination kann auch von Städten und Industrien am Oberlauf herrühren. Je ferner dem eigenen Leben die Verschmutzung ist, und je weiter entfernt die Nutznießer den Folgen ihres Tuns sind, desto geringer ist in der Regel das Interesse an einem nachhaltigen Gebrauch von Wasser.

Extrem sind Wasserverschmutzungen durch Industrien, die Rohstoffe zum Export aus dem Boden ziehen und anschließend verarbeiten. Ein Beispiel ist der Abbau von Bauxit in der Nähe des Dorfs Kinari im indischen Staat Orissa. Dort schürft die indische Firma „Sterlite Industries India Limites“ (SIIL) Bauxit und verarbeitet es zu Aluminium. Das Mineral wird im Tagebau gewonnen und dafür der Nyamgiri-Hügel abgeholzt. Die Entwaldung beeinträchtigt die Aufnahmefähigkeit des Bodens für Niederschläge und bedingt dadurch eine Absenkung des Grundwasserspiegels, was die Austrocknung zweier nahe gelegener Flüsse sowie weiterer kleinerer Wasserläufe nach sich zieht. Während der Aluminium-Produktion entstehen toxische Substanzen in einem unlöslichen roten Schlamm, der das Wasser verseucht und die Böden unfruchtbar macht. Das Grundwasser, die Flüsse und die Ländereien sind aber die einzigen Lebensmittel der ansässigen Bevölkerung.

Ein anderes Beispiel betrifft die Erdölgewinnung im Regenwald Ecuadors. Aus etwa 300 Quellen ergibt sich eine Jahresproduktion von knapp 20 Mio. Tonnen Öl, 0,4 Prozent der Weltproduktion. Die an multinationale Konzerne vergebenen Konzessionen betreffen Gebiete von rund 1,2 Mio. ha Regenwald und liegen oft in Territorien indigener Völker. Sie sind vorwiegend Subsistenz-Gesellschaften und damit auf die Naturräume der Wälder, der überfluteten Gebiete und der Flussufer angewiesen, wobei der Landbau mit Jagen, Sammeln und Fischen kombiniert wird. Das Zusammenspiel von Wald und Wasser macht die Region zu einer der artenreichsten in der Welt. Die Folgen der Wasserverschmutzung durch die Ölförderung sind daher besonders schwerwiegend. Über zahlreiche Lecks in den Leitungsrohren sickert Öl in Boden und Wasser; in den letzten zwanzig Jahren flossen aus über dreißig Brüchen im Pipeline-System mehr als eine halbe Million Barrel Öl in Ecuadors Flussläufe, die den Einwohnern als Trinkwasser dienen. Krankheiten nehmen zu, Mangelernährung, sozialer Niedergang und schließlich Vertreibung sind die Folge.

Lukratives Wasser

Preissteigerungen der Ressource Wasser treffen am stärksten arme Bevölkerungsgruppen, vor allem in den Städten. Denn sie haben gewöhnlich keine Möglichkeit, auf Preiserhöhungen mit einer anders geordneten Nachfrage zu reagieren. Höhere Wasserpreise gefährden darum unmittelbar ihre Lebensmöglichkeiten.

In den letzten Jahren entstehen in den Metropolen des Südens Auseinandersetzungen um die Privatisierung der öffentlichen Wasser-Versorgung. Unternehmen kaufen Wasserrechte auf, und wenn Kunden nicht zahlen können, ist Abschaltung an der Tagesordnung. Entsprechend heftig sind die Proteste, etwa in Städten wie Cochabamba, Soweto, Jakarta – oder in Manila. Bis in die 1990er Jahre hinein hatten etwa 30 Prozent der Menschen in Manila keinen Wasseranschluss, eine städtische Kanalisation existierte praktisch nicht. Das öffentliche Versorgungsunternehmen Manilas war durch die geringen Einnahmen und eine hohe Schuldenlast nahezu handlungsunfähig geworden. Daher versprach sich die Stadtregierung viel von der Privatisierung ihrer Wasserversorgungsrechte, die 1997 an die Unternehmen „Mayniland Water Services International“ und der „Manila Water Company Inc.“ vergeben wurde. Sie versprachen, Altschulden abzubauen und Investitionen zu tätigen; sie gelobten niedrigere Tarife und eine flächendeckende Wasserversorgung in spätestens 10 Jahren. Zwar konnten sie bis Ende 2002 mit ihrem Wasser-für-die-Gemeinschaft-Programm Erfolge verbuchen, da mehr Menschen als zuvor nun über einen Wasseranschluss verfügen. Alle aber, die den Preis von 4.073 Peso für den Anschluss nicht aufbringen können, stehen jetzt schlechter da. Denn die öffentlichen Wasserstellen sind geschlossen worden, und Nutzer illegaler Anschlüsse werden von den Unternehmen konsequent als Wasserdiebe angezeigt. So werden die Ärmsten und unter ihnen vor allem auch Frauen gezwungen, sich auf stundenlange Wege zu begeben, um an ihr Lebensmittel Wasser zu gelangen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen nicht, wie versprochen, in die marode Infrastruktur investierten, sondern die Leitungsverluste durch eine Erhöhung der Wassertarife zu kompensieren suchen. Nun zahlen die Endverbraucher nicht nur den teuren Anschluss, sondern auch höhere Preise. Im Jahre 2002 betrugen sie bereits das Dreifache von 1997, für 2003 wurden Steigerungen auf das Fünffache erwartet.

Neben der Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung haben sich andere Wege gefunden, Geld aus dem knappen Gut Wasser zu schlagen: im Markt für Flaschenwasser. Dass der weltweite Boom des Flaschenwassers zum Nachteil ganzer Bevölkerungsteile werden kann, lässt sich am Beispiel der Ortschaft Plachimada im südindischen Kerala verdeutlichen. Hier hat Coca Cola mit der „Hindustan Coca Cola Beverages Private Ltd.“ eine Fabrikanlage gebaut und pumpt aus den eigens dafür angelegten 65 Bohrlöchern täglich bis zu 600.000 Liter aus der Erde. Dies führte zu einem rapiden Abfall des Grundwasserspiegels in der Gegend und damit zu unlösbaren Problemen. Zum einen ist das Wasser, dessen Härtegrad durch den beständigen Raubbau fortwährend steigt, nur schwer genießbar und wird sowohl für den menschlichen Konsum als auch für die Landwirtschaft zunehmend unbrauchbar. Hinzu kommt, dass Coca Cola den Anwohnern lange Zeit empfohlen hat, die von der Fabrik produzierten schlammigen Abfälle als Dünger zu nutzen. Dies führte zu Missernten. Der Konsum von bitterem Wasser und kontaminiertem Reis führten zu einer Häufung von Magen-Darm-Entzündungen, Sehstörungen, Hautreizungen und anderen Erkrankungen. Wer sauberes Wasser möchte, muss sich auf den Weg zu einer 3 Km entfernten Quelle machen. Durch die Missernten fehlen den Menschen Einnahmen. Sie können es sich nicht mehr leisten, Arbeiter auf den Ländereien anzustellen, und viele sehen sich in die saisonale Arbeitsmigration gedrängt; eine Katastrophe für eine Gegend, in der die Mehrheit von landwirtschaftlicher Lohnarbeit abhängig ist. Im Dezember 2003 zwang der Gerichtshof Keralas Coca Cola, nach Alternativen zu ihrer bisherigen Wasserversorgung zu suchen und nur soviel Wasser zu nutzen, wie es ein Landbesitzer mit ähnlich großer Landfläche dürfte. Im März 2004 stellte Coca Cola auf die Produktion ein, da ihre Produktionsgenehmigung nicht verlängert wurde.

Die Konflikte, die durch Verschmutzung von Wasser, zu hohe Wasserpreise und die reale oder virtuelle Umleitung von Wasser auftreten, entziehen vor allem den in der Eigenversorgungswirtschaft Lebenden und den Armen die Existenzgrundlage. Existenzrechte umgreifen, was Personen als Lebensmittel zur Realisierung ihrer grundlegenden Menschenrechte brauchen: genießbares Wasser, fruchtbaren Ackerboden, ausreichend Nahrung, ein Dach über dem Kopf und so weiter. Im Konflikt um natürliche Ressourcen wie Wasser ist es darum vor allem wichtig, den ökologischen Lebensraum dieser Bevölkerungen zu sichern. Die Achtung der Existenzrechte verlangt, die Rechte der lokalen Gemeinschaften auf ihre Ressourcen anzuerkennen und zu stärken. Schließlich sind Seen, Flüsse und Grundwasser die unentbehrlichen Quellen für Nahrung, Gesundheit und Hygiene – und damit auch eine unabdingbare Grundlage für Freiheit und für ein Leben in Würde.

Darum deckt sich eine Politik zugunsten der Lebensunterhalts-Rechte nicht nur mit den Menschenrechten, sondern auch mit dem Interesse an Umweltschutz. Intakte Ökosysteme mindern die Verwundbarkeit jenes Drittels der Menschheit, dessen Lebensunterhalt vom direkten Zugang zu den sie umgebenden Feldern, Wäldern, Weiden und Gewässern abhängt. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist gerade in den Ländern des Südens das Kernstück einer Politik, die Armutsüberwindung ernst nimmt. Und ebenso umgekehrt: Weil wirksame Rechte der Bewohner die beste Gewähr dafür geben, dass die Ressourcen der Armen nicht mehr so leicht zu den Reichen umgelenkt werden, ist eine Politik der Subsistenzrechte ein Kernstück des Natur- und Artenschutzes. Die Existenzrechte zu stärken ist daher zentraler Bestandteil einer Strategie, die bei begrenzten Ressourcen auf globale Gerechtigkeit abzielt.

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