Deutschland im Weltwirtschaftsraum

Von Tilman Santarius

Erschienen als: Deutschland im Weltwirtschaftsraum. Kapitel 6, in: BUND/Brot für die Welt/Evangelischer Entwicklungsdienst (Hrsg.): Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte. Eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Frankfurt, 2008, S. 157-183.

 Deutschland ist ein prominenter Akteur in der Weltwirtschaft. Güter- und Investitionsströme fließen in alle Welt und kommen aus dem Ausland – beides in wachsendem Ausmaß. Woher kommen und wohin gehen diese Ströme, und was sind ihre Folgen? Deutschland ist ein Gewinner der Globalisierung, auch wenn es Arbeitsplätze verliert. Wiederum trägt es dazu bei, die ökologische Raubwirtschaft über den Globus zu verbreiten und einheimische Akteure von ihren Märkten zu verdrängen. Zukunftsfähig kann nur eine Exportwirtschaft sein, die sozial und ökologisch lebensdienlich ist – was wohl kaum ohne eine Schrumpfung der Exportwirtschaft möglich wird.

5.1 Deutschlands Waren in der Welt

Gewöhnlich wird mit dem Fall der Mauer im Jahr 1989 das Ende einer langjährigen Rivalität assoziiert: Die Block-Konfrontation zwischen Ost und West wich der Aussöhnung und in Deutschland der Wiedervereinigung, und das Ende des Eisernen Vorhangs beendete den Systemwettbewerb, der die Politik unzähliger Länder in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hatte. Doch das Jahr 1989 kann ebenso als Datum für die Entfesselung einer anderen Rivalität gelesen werden. Denn erst nach dem Ende des politischen Systemwettbewerbs im Kalten Krieg konnte sich der ökonomische Wettbewerb zwischen den Ländern frei entfalten. Tatsächlich kann das Wettrennen der „Wirtschaftsstandorte“ um die Ermöglichung maximaler Kapitalrenditen als Kern der jüngsten Phase der Globalisierung bezeichnet werden. Fortan zählt allein, ob ein Land stark oder schwach ist auf der Wohlstandsleiter – gemessen an ökonomischen Indikatoren wie etwa dem Bruttoinlandsprodukt oder auch dem Exportanteil am Weltmarkt.

Exportweltmeister in Serie

In den Medien wie in der Wirtschaftsforschung wird zumeist begeistert verkündet: „Deutschland ist Exportweltmeister!“ Seit dem Jahr 2003 hat das Land diesen Titel ohne Unterbrechung errungen und dabei jedes Jahr neue Rekordzahlen vorgelegt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass der Weltmeistertitel nur eingeschränkt gilt. Zunächst gilt er nur für den Export von Waren; beim Export von Dienstleistungen führen die USA nach wie vor mit großem Abstand. Zudem gilt der Titel nur, wenn Hongkong und China in der Statistik getrennt erfasst werden. In der Summe haben sie Deutschland schon im Jahr 2005 überholt. Inzwischen schickt China sich auch ohne Hongkong an, Deutschland als Waren-Exportweltmeister abzulösen.

##AUS FOLGENDER TABELLE BITTE EINE ABBILDUNG MACHEN !## Tabelle 5.1: Der Warenhandel der vier größten Exportländer (1980-2006).

Warenexporte in Mrd. US-Dollar  1980  1990  2000  2006 
Deutschland 192,9 421,1 551,9 1.112
USA 225,6 393,6 781,1 1.038,3
VR China 18,1 62,1 249,2 968,9
Hongkong 20,3 82,4 202,7 322,7
Japan 130,4 287,6 479,2 649,9
Welt  2.034,1  3.448,8  6.446,2  12.083 

Quelle: WTO 2008.

Ob nun Weltmeister oder nicht, Deutschlands Exportboom ist gewaltig. In den sieben Jahren zwischen 1999 und 2006 wuchs die Warenausfuhr um 75 Prozent. Derzeit stammt fast ein Zehntel der Warenexporte in der Welt aus der Bundesrepublik. Auch die Warenimporte stiegen in diesem Zeitraum deutlich, freilich nur um 65 Prozent. Daher vergrößert sich der Saldo aus Warenimporten  und -exporten in Deutschland stetig, während er sich bei den Dienstleistungen verkleinert. Im Jahr 2006 hatte das Ungleichgewicht in der Leistungsbilanz mit 140 Mrd. Euro einen neuen Höchststand erreicht[i]. Die deutsche Wirtschaft verkauft der Welt also zunehmend mehr, als sie einkauft. Das zeigt einerseits die Leistungsfähigkeit der deutschen Unternehmen, bedeutet anderseits aber, dass die meisten Länder der Welt im Handel mit Deutschland mit Defiziten in der Bilanz fertig werden müssen (®Kapitel 17).

Afrika außen vor

Gummibärchen, Birkenstock-Sandalen, Heidelberger Druckmaschinen, VW Golfs und all die anderen Produkte „Made in Germany“ werden vor allem in Europa verkauft. So machten die Warenexporte in die anderen EU-Länder im Jahr 2006 fast zwei Drittel der Gesamtexporte aus, ja sogar drei Viertel, wenn man die übrigen europäischen Länder berücksichtigt. Nur ein Viertel der deutschen Waren ging in Länder außerhalb Europas. Ganz ähnlich ist das Bild auf der Importseite. Im Jahr 2006 stammte weniger als ein Drittel der Einfuhren aus anderen Kontinenten. Dennoch nehmen insbesondere die aufstrebenden Schwellenländer Asiens Jahr für Jahr eine größere Rolle im Welthandel ein, und so auch in der deutschen Außenhandelsbilanz. Asien ist auch die einzige Weltregion, gegenüber der Deutschland eine deutlich negative Handelsbilanz aufweist. 2006 überstiegen Importe aus China die deutschen Exporte dorthin um rund 75 Prozent. Es zählt bereits zu den zehn wichtigsten Handelspartnern Deutschlands, deutlich vor Japan.[ii]

Während einige Neuaufsteiger den alteingesessenen Wohlstandsländern ihren Machtanspruch streitig machen, werden gleichzeitig andere Länder weiter ins Abseits gedrängt. Der Anteil Afrikas am weltweiten Handel ist in den vergangenen 20 Jahren von fünf auf unter zwei Prozent gesunken. Dies spiegelt sich auch im deutschen Außenhandel wieder: Lediglich 1,8 Prozent der deutschen Exporte gingen 2006 nach Afrika, und 2,1 Prozent der Importe kamen von dort.[iii] Die Geografie der deutschen Außenhandelsbilanz bildet den größeren Trend ab: Die Globalisierung einiger Länder geschieht gleichzeitig mit der Marginalisierung vieler anderer.[iv]

AUS FOLGENDER TABELLE BITTE ZWEI KUCHEN-DIAGRAMME MACHEN, EINS ZU WAREN-, DAS ANDERE ZU DIENSTLEISTUNGSHANDEL ! Tabelle 5.2: Deutschlands Leistungsbilanz nach Ländergruppen und Ländern (2006).

In Mrd. Euro… Waren-exporte Waren-importe Saldo Dienstleistungs-exporte Dienstleistungs-importe Saldo
Alle Länder 899,7 743,6 156,1 138,5 176,7 -38,1
Industrieländer 721,9 563,4 158,5 114,2 146,5 -32,2
Entwicklungs- u. Schwellenländer 176,1 179,3 -3,1 23,3 29,6 -6,3
Europa 666,2 524,6 141,6 93,0 125,8 -32,8
Davon: Russland 23,6 29,0 -5,3 k.A. k.A. -0,05
Europäische Union (EU 27) 571,7 435,4 136,3 74,7 104,6 -29,8
Davon: Frankreich 85,3 63,0 22,3 8,7 12,6 -3,8
             Belgien 46,8 33,8 13,0 4,1 3,8 0,3
             Niederlande 56,9 62,7 -5,8 8,6 10,4 -1,8
Amerika 104,7 75,1 29,5 24,3 25,8 -1,5
USA 75,3 47,5 27,8 19,0 20,7 -1,7
Asien 104,0 124,3 -20,2 16,1 19,1 -3,0
Davon: China, VR 26,9 47,3 -20,3 2,4 k.A. 0,03
             Japan 13,4 23,9 -10,4 3,4 2,7 0,6
Südostasiatische Schwellenländer 30,6 34,9 -4,3 5,5 k.A. -1,7
Naher und Mittlerer Osten 22,3 5,7 16,5 3,0 k.A. -0,1
Afrika 16,6 15,7 0,9 2,9 4,0 -1,1
Australien 5,5 1,6 3,8 0,9 k.A. -0,05

Quelle: Deutsche Bundesbank 2007b.

Überraschend ist, dass auch die Exportüberschüsse im Warenhandel ganz überwiegend im Handel mit anderen Industrieländern erwirtschaftet werden. Deutschlands Exportüberschüsse sind also nicht das Ergebnis einer asymmetrischen Konkurrenz mit den armen Ländern, sondern des erfolgreichen Wettbewerbs mit den anderen Industrieländern.[v] Trotzdem kann der Handel mit Entwicklungsländern, auch wenn er sich auf niedrigem Niveau bewegt, spürbare Auswirkungen auf die dortige Wirtschaft haben. Ein sprechendes Beispiel ist der Export von Hühnerflügeln nach Kamerun. (Kapitel 12)

Autos, Chemie, Maschinen

Drei Gütergruppen stechen besonders hervor: Kraftwagen, Kraftwagenteile sowie sonstige Fahrzeuge (23 Prozent), Maschinen (14 Prozent) und chemische Erzeugnisse (13 Prozent) stehen zusammen für die Hälfte der deutschen Ausfuhren. Weitere Gütergruppen von Bedeutung sind Metalle, Halbzeuge und Metallerzeugnisse, Geräte der Medizintechnik, der Elektroerzeugung und der Nachrichtentechnik, Büro- und Datenverarbeitungsgeräte sowie Erzeugnisse des Ernährungsgewerbes. Obgleich die Bezeichnung „Werkbank der Welt“ neuerdings für China verwandt wird, charakterisiert sie also nach wie vor auch die Komposition der deutschen Außenhandelsströme. Eine radikale Spezialisierung auf Dienstleistungen, verursacht durch die Konkurrenz aus Ländern des Ostens und Südens im verarbeitenden Gewerbe, hat bislang jedenfalls nicht stattgefunden.

Auch auf der Importseite dominieren die drei Sektoren Fahrzeugbau, Maschinenbau, Chemie. Einen wichtigen Teil der Einfuhren – zumal mengenmäßig – nehmen zudem Erdöl und Erdgas ein; ihr Anteil bleibt im Wert aber unter 10 Prozent der Gesamtimporte. Bei den landwirtschaftlichen Produkten besteht ein deutlicher Importüberschuss. Der überwiegende Teil stammt aus anderen EU-Ländern; Brasilien ist das einzige Entwicklungsland unter den zehn wichtigsten Agrarhandelspartnern.[vi] Und schließlich importiert Deutschland auch im Dienstleistungshandel mehr als es exportiert, mit einem Defizit von 38 Mrd. Euro im Jahr 2006. Reise- und Transportdienstleistungen sind die auffälligsten Posten in der Bilanz; denn Deutsche reisen gerne. Allerdings ist der Saldo seit 1999 gefallen, vor allem der gestiegenen Attraktivität Deutschlands als Reiseziel wegen. Bei den Transportdienstleistungen allerdings erzielt Deutschland stets einen Überschuss; deutsche Logistikunternehmen, Luftfrachtgesellschaften und andere Transportdienstleister verkaufen dem Ausland weit mehr, als ihre ausländischen Konkurrenten in Deutschland absetzen.[vii]

5.2 Investitionen ins Ausland

Nicht nur durch seine Warenexporte, sondern auch mittels Unternehmens-Investitionen im Ausland greift Deutschland um den Erdball. Deutsche Unternehmen wenden Jahr für Jahr beträchtliche Direktinvestitionen auf, um Produktionsstätten in anderen Ländern auszubauen, sich bei ausländischen Firmen ins Geschäft einzukaufen oder durch den Aufbau von Filialen Präsenz auf neuen Märkten zu schaffen. Der Bestand deutschen Unternehmensvermögens im Ausland belief sich Ende 2005 auf insgesamt 785 Mrd. Euro; einzig die USA, Großbritannien und Frankreich haben mehr Investitionen ins Ausland getätigt. Der Bestand ausländischen Unternehmensvermögens in Deutschland war hingegen mit 390 Mrd. Euro im selben Jahr nur halb so groß. Die Schieflage des Investitionsbestands ähnelt der Schieflage beim Warenhandel: Deutschland ist viel stärker in der Welt aktiv, als die Welt in Deutschland.

Ausländische Direktinvestitionen – Entwicklungschance für den Süden?

 

Ausländische Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment; FDI) sind Investitionen in ein Unternehmen, bei denen ein ausländischer Investor einen signifikanten Anteil an Aktien oder Eigentumsrechten an dem Unternehmen erwirbt. FDIs sind damit mehr als nur eine Form des zwischenstaatlichen Kapitalflusses; sie stellen eine grenzüberschreitende Expansion transnational operierender Unternehmen dar. Die 100 größten Unternehmen weltweit hielten Ende der 1990er Jahre ausländische Unternehmensanteile in Höhe von gut 2000 Milliarden US-Dollar und beschäftigten rund 6 Millionen Angestellte im Ausland. 90 der 100 größten Unternehmen haben ihren Hauptsitz in den USA, der EU oder Japan. Rund drei Viertel der FDIs fließen in Industrieländer. Mehr als 80 Prozent des Viertels, das in Entwicklungsländer fließt, konzentriert sich auf nur 12 Länder mittleren Einkommens, allein die Hälfte davon auf China.

Aus Sicht von Entwicklungsländern werden FDIs vor allem das Potential zugesprochen, ausländisches Kapital ins Land zu bringen und Effizienzgewinne durch die Einführung moderner Technologien und Management-Praktiken zu realisieren. Darüber soll das Wirtschaftswachstum angetrieben und die Armut reduziert werden. Kritiker hingegen wenden ein, dass FDIs in Konkurrenz zu inländischen Investitionen treten, insofern zu einer Schwächung der nationalen Wirtschaftskraft führen und sogar einen Rückgang des Wirtschaftswachstums bewirken können; zudem fließen Gewinne häufig ins Ausland ab und sickern nicht zu den Armen durch. Auch die Umweltbilanzen von FDIs fallen sehr unterschiedlich aus: in einigen Fällen, wie etwa in der Bergbauindustrie Chiles, führten sie zu einem effizienteren Umgang mit natürlichen Ressourcen, in anderen, wie beispielsweise in den Maquiladoras Mexicos, nahm die Umweltzerstörung stark zu. Die politischen Rahmenbedingungen sind der entscheidende Faktor dafür, ob FDIs einen positiven oder negativen Effekt auf Wirtschaftswachstum, Verteilungsgerechtigkeit und Ökologie nehmen. Ausländische Direktinvestitionen müssen also durch die Politik gelenkt werden, um ihr Potential für eine nachhaltige Entwicklung entfalten zu können. Doch in vielen Ländern des Südens sowie auf der Ebene internationaler Wirtschafts- und Handelsverträge fehlen entsprechende Rahmenbedingungen[viii].

Beschleunigte Denationalisierung

Während die Waren- und Dienstleistungsströme über zwei Jahrzehnte kontinuierlich angestiegen sind, zeigen die Investitionsströme eine beträchtliche Fluktuation. Danach scheint es, als finde die Globalisierung in Wellenbewegungen statt. Insofern ist es nur die halbe Wahrheit, vom Standortwettbewerb zwischen den Nationen als dem Kern der Globalisierung zu sprechen. Natürlich geraten Länder auf dem liberalisierten Weltmarkt in zunehmende Konkurrenz, aber gleichzeitig – und gerade in den letzten zwei, drei Jahrzehnten – lösen sich die nationalen Ökonomien zunehmend in einem trans-nationalen Wirtschaftsraum auf.[ix] In erster Linie konkurrieren international mobile private Unternehmen um die kaufkräftige Nachfrage von Konsumentinnen und Konsumenten, die sie derzeit noch vorwiegend in den Industrieländern finden.[x] Der Anstieg von Direktinvestitionen ins Ausland kann also als Indikator für die Denationalisierung der Wirtschaft eines Landes gelten. Und da Deutschland sowohl zu den wichtigsten Ursprungs- wie auch Zielländern von Auslandsinvestitionen gehört, deutet dies daraufhin, dass die Denationalisierung der deutschen Wirtschaft vergleichsweise weit fortgeschritten ist. „Made in Germany“ wird beileibe nicht mehr nur auf deutschem Boden erzeugt.

Unternehmen des Produzierenden Gewerbes sind am stärksten in internationale Produktketten eingebunden. Und wie schon im Warenhandel, ist es mit großem Abstand die Automobilindustrie, in die zur Produktion von Kraftwagen, Kraftwagenteilen sowie zur Reparatur und Instandhaltung von Fahrzeugen im Ausland investiert wird. Investitionen in den Handel folgen auf Platz zwei; Investitionen in die chemische Industrie und den Maschinenbau nehmen die Plätze drei und vier ein. Auch in die Elektrizitätserzeugung und -verteilung in anderen Ländern fließen nennenswerte Anteile. Ein erheblicher Teil von Investitionen wird zudem durch Finanzierungsinstitute und das Versicherungsgewerbe umgesetzt oder ist in ausländischen Beteilungsgesellschaften gebunden. Was die Aktivitäten ausländischer Unternehmen in Deutschland betrifft, so empfängt das Produzierende Gewerbe rund ein Drittel der Investitionen und ist damit das wichtigste Ziel ausländischer Investoren. Und wieder stehen auch die Wirtschaftszweige Automobil, Chemie, Maschinenbau weit oben; nennenswert sind ebenfalls die ausländischen Investitionen in die deutsche Rundfunk-, Fernseh- und Nachrichtentechnik.[xi]

Höchstens die Schwellenländer

Was die Geografie der Investitionsströme betrifft, so fließen sie, ähnlich wie beim Warenhandel, vor allem in die europäischen Nachbarländer. Mehr als die Hälfte des im Ausland investierten deutschen Unternehmensvermögens befindet sich in anderen EU-Ländern. Großbritannien nimmt den ersten Platz ein; Frankreich folgt, allerdings mit einigem Abstand. Während aufgrund der Dollarschwankungen die USA im deutschen Warenhandel eine vergleichsweise kleine Rolle haben, befindet sich umso mehr deutsches Unternehmensvermögen in den USA, nämlich 30 Prozent der Direktinvestitionen. Für den Dollarraum bietet die Produktion vor Ort eine größere betriebswirtschaftliche Sicherheit gegenüber Exporten von in Deutschland hergestellten Waren, die stets Wechselkursschwankungen ausgeliefert sind.

Hingegen bleiben die Investitionen in asiatischen Ländern weit hinter den Investitionen in Europa und den USA zurück. Ende 2005 machte das deutsche Unternehmensvermögen in China noch weniger als fünf Prozent des Unternehmensvermögens in den USA aus. Der Aufstieg der Schwellenländer beschert ihnen zwar raschere Zuwächse. Doch in der Summe bleiben die Investitionen im Süden noch weit hinter denen im Norden zurück. Das gleiche Bild zeigt sich auch für die Investitionsströme aus dem Ausland in die Bundesrepublik. Zwar weit vor Afrika und Lateinamerika,  verfügen Unternehmen aus den asiatischen Ländern dennoch nur über weniger als 5 Prozent des Bestands an Investitionen in Deutschland. Drei Viertel der ausländischen Investitionen in Deutschland kommen von Unternehmen aus anderen EU-Ländern und knapp 12 Prozent von US-amerikanischen Firmen.[xii]

Ausländische Direktinvestitionen sind also nach wie vor die Domäne der Industrieländer. Dies muss aber nicht so bleiben. In den vergangenen Jahren war ein historisch beispielloser Aufbau von Vermögenspositionen, vor allem von Währungsreserven, in verschiedenen asiatischen Ländern zu verzeichnen. In China etwa sind die Währungsreserven zwischen 1999 und 2006 von 160 Milliarden auf knapp 1,1 Billionen US-Dollar gewachsen[xiii]. Zwar verfügen etwa die Öl-exportierenden Länder aus dem arabischen Raum, sowie Norwegen, bereits seit langem über erhebliches Finanzkapital, welches sie in Aktien, Beteiligungsgesellschaften oder anderen Fonds auch in der deutschen Wirtschaft angelegt haben. Vor allem die Ankündigung Chinas, einen neuen, mit rund 200 Mrd. Dollar ausgestatteten Fonds aufzulegen, sorgte indes für Unruhe. Mit einem so kapitalstarken Fonds wäre es nicht unmöglich, sogar eine Aktienmehrheit beim größten deutschen Unternehmen, der Daimler-AG, zu erwerben.[xiv]

Mit zweierlei Maß

In der Tat ist es nicht auszuschließen, dass ausländische Fonds oder Firmen deutsche Unternehmen vermehrt aufkaufen und gegebenenfalls anschließend abwickeln. Dies geschieht aber nicht erst in Zukunft mit Geld aus Asien oder anderen Ländern des Südens, es findet bereits heute statt – sei es durch Private Equity oder andere Fonds, die in der öffentlichen Debatte auch als ‚Heuschrecken’ bezeichnet werden. Schließlich haben auch deutsche Unternehmen in der Vergangenheit immer wieder im Ausland Unternehmen aufgekauft und anschließend zerschlagen. Ein Beispiel dafür ist BMW, das 1995 den letzten britischen Großserienhersteller Rover erwarb und, nach wenig erfolgreichem Engagement, in drei Firmen zerlegte; wenigstens bei einer davon wurde schon nach kurzer Zeit die Produktion eingestellt. Dennoch, aufgrund der angeblich neuen ‚Gefahr’ aus den aufstrebenden Ländern des Südens, beauftragten die Finanzminister der G-7 Staaten im Oktober 2007 den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Folgen von Investitionen aus Staatsfonds zu untersuchen und Verhaltensregeln zu entwickeln, nach denen sich diese richten sollen.[xv]

Hier zeigt sich ein aufkeimendes Konfliktfeld in den Nord-Süd-Beziehungen. Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern waren in der Vergangenheit von Übernahmen durch ausländische Investoren betroffen, doch ihnen erklärten Vertreter des Nordens stets die Vorteile, die ihnen der liberalisierte Kapitalverkehr bringe. Nun dreht sich der Wind, und der Norden bereitet Schutzmaßnahmen vor. Wie offen wird Deutschland dem Aufstieg der Länder des Südens gegenüber sein? Wird es in Zukunft mit zweierlei Maß messen? Und wird die Bundesrepublik sich dafür einsetzen, die Aktivitäten von Unternehmen und Fonds in der transnationalen Ökonomie an Standards zu knüpfen, die einer ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung dienen? (®Kapitel 17)

5.3 Gibt Deutschland von seinem Wohlstand ab?

Bislang sind es immer noch die Industrieländer, welche die Weltwirtschaft dominieren. Die Welthandelsverflechtungen zeigen, dass das Gros des Waren- und Dienstleistungshandels nach wie zwischen Nordamerika, Japan und Europa abgewickelt wird.[xvi] Doch die Schwellenländer entwickeln sich zu veritablen Konkurrenten. Allein China, Indien, Brasilien und Russland konnten von 1990 bis 2006 zusammen ihren Anteil an der Weltwirtschaftsleistung von gut 5 auf knapp 12 Prozent mehr als verdoppeln.[xvii] Millionen Menschen in den aufstrebenden Ländern des Südens sind der Armut entwachsen, und eine wohlhabende Mittelklasse entsteht. Währenddessen haben viele Industrieländer, auch Deutschland, mit schwindenden Einkommen, hoher Arbeitslosigkeit und steigendem Druck auf die Sozialsysteme zu kämpfen. Sitzen die Gewinner der Globalisierung nicht mehr in Detroit und Dortmund sondern in Shanghai und Hanoi?

Doppeltrend: Polarisierung und Schrumpfung der Einkommen

In den ersten Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg spielten hierzulande Sorgen vor der Konkurrenz aus Billiglohnländern keine Rolle. Arbeitnehmer profitierten vom Anstieg der Beschäftigung und von höheren Löhnen in der Exportwirtschaft, und ebenso von billigen Importen. Doch während die billigen Importe fortbestehen, bleiben die Zuwächse der Realeinkommen heute vielfach aus. Inzwischen fragt der Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Samuelson, ob die Grundannahme der Freihandelstheorie, dass nämlich der Welthandel zu einer „Win-Win-Situation“ für alle Länder führe, noch zu halten sei. Handelsökonomen hätten zu lange die negativen Konsequenzen der Globalisierung für die Einkommen in den reichen Ländern ignoriert. Unter bestimmten Umständen könnten Produktivitätssprünge in den Entwicklungsländern dazu führen, dass der Nutzen aus der Arbeitsteilung nur dort anfällt, während die Industrieländer real Einkommensverluste erfahren.[xviii] Tatsächlich lässt sich in den meisten Industrieländern inzwischen ein Abwärtstrend der Realeinkommen beobachten, besonders deutlich in den USA.[xix] Für Deutschland berechnete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, dass das durchschnittliche Realeinkommen zwischen 1990 und 1998 in etwa konstant geblieben, dann bis 2002 leicht gestiegen, seitdem aber gesunken ist. Und ein Blick hinter den Durchschnitt offenbart wichtige Details: Der Anteil der Empfänger mittlerer Einkommen ist während der ganzen Zeit deutlich geschrumpft, während die Bevölkerungsanteile an den Rändern der Einkommensverteilung, also sowohl bei den Vielverdienern wie bei den Niedriglohnempfängern, gestiegen sind.[xx] Trotz steigender Exporte hat sich ein guter Teil der Deutschen finanziell also verschlechtert, und insgesamt geht die Einkommensschere auseinander. Wie in vielen anderen Ländern zeichnet sich also ein doppelter Trend ab: eine Einkommensspreizung bei gleichzeitigem Rückgang der durchschnittlichen Einkommen.

Ist die Globalisierung ursächlich verantwortlich für diesen Doppeltrend? In der Antwort klaffen Theorie und Empirie auseinander. Einerseits zeigt sich empirisch von China bis Deutschland nahezu flächendeckend das Phänomen, dass die Einkommensschere auseinander geht und die Mittelschicht auszudünnen beginnt. Doch kann dafür nicht umstandslos die Globalisierung verantwortlich gemacht werden; Einkommensspreizung geschieht auch durch Umverteilung auf nationaler Ebene. Dagegen zeigt sich die Veränderung der Durchschnittseinkommen sehr heterogen – mit durchschnittlichen Einkommenssteigerungen in vielen Ländern des Südens, allen voran China und Indien, aber einem durchschnittlichen Einkommensrückgang in anderen Ländern des Südens wie auch in den meisten Ländern des Nordens. Doch entspricht es hier wiederum der ökonomischen Theorie, dass durch die Globalisierung in reichen Ländern die Löhne im Schnitt sinken und in ärmeren Ländern dafür steigen werden[xxi]. Wäre es aber nicht auch recht und billig, dass Deutschland von dem Wohlstand, den die Industrieländer allzu lange alleine genossen haben, an den Süden abgibt?

Abwanderung ins Ausland?

Die Frage wäre weniger brisant, wenn alle Deutschen auf ein verlässliches Einkommen zählen könnten. Doch die hohen Arbeitslosenzahlen und die Sorge vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes sind in bestimmten Sektoren eindeutig mit der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung zu erklären: Bekleidungsfabriken, Möbelindustrie, Stahlunternehmen sind aus Deutschland nahezu verschwunden und in die Länder des Ostens und Südens abgewandert. Weitere Branchen werden wohl folgen. Die Zahl der Erwerbstätigen im Produzierenden Gewerbe hat zwischen 1991 und 2005 mit 32 Prozent in Deutschland stärker abgenommen als in jedem anderen Land der Welt – und dies, obwohl das Produzierende Gewerbe der deutsche Exportschlager ist und sich über stetig steigende Umsätze freut.[xxii] Doch immer mehr Halbfertig- und Fertigteile für diese Produkte werden importiert – zumal, wenn es sich um beschäftigungsintensive Teile handelt.

Inzwischen trifft die Abwanderung auch hoch qualifizierte Arbeit, nicht mehr nur im industriellen Sektor, sondern auch, dem steigenden Bildungsniveau in den Ländern des Südens zufolge, bei den Dienstleistungen.[xxiii] Dabei sorgen auch die hohen Auslandsinvestitionen deutscher Firmen dafür, dass Arbeitsplätze in anderen Ländern geschaffen werden. Ende 2005 arbeiteten rund 4,5 Mio. Beschäftigte in den mehr als 20.000 Firmen, an denen deutsche Unternehmen durch ihre Auslandsinvestitionen direkt oder indirekt beteiligt waren. Umgekehrt arbeiteten in Deutschland nur rund 1,9 Mio. Beschäftigte in den knapp 7.500 Firmen, an denen ausländische Unternehmen beteiligt waren.[xxiv]

Es ist heftig umstritten, ob die Globalisierung netto zu Arbeitsplatzverlusten führt. Für bestimmte Branchen gilt das sicher. Doch die Spezialisierung auf bestimmte Branchen kann dazu beitragen, dass das Angebot an Arbeitsplätzen hier erweitert wird und unterm Strich sogar mehr Arbeitsplätze entstehen, als verloren gehen. Für Deutschland lässt sich mit Zahlen belegen, dass die zunehmenden Integration in die Weltwirtschaft mit einer Zunahme an Arbeitsplätzen einhergeht. Die Anzahl der Beschäftigen in den wichtigsten Exportsektoren Fahrzeugbau, Chemie, Maschinenbau ist zwischen 1995 und 2004 zwar um 150.000 gesunken, und auch in einigen anderen Sektoren gab es eine rückläufige Beschäftigung. Insgesamt aber hat die Anzahl der direkt und indirekt für den Export arbeiteten Erwerbstätigen um 2,4 Mio. zugenommen.[xxv] In Deutschland hat die Globalisierung also nicht zur Abwanderung der Arbeit, sondern zu einem zusätzlichen Arbeitsplatzangebot geführt, auch wenn für weniger qualifizierte Arbeitskräfte immer weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.

Wem gehören die Märkte?

Kein anderes Land hat so wie Deutschland jahrzehntelang von der Bereitschaft anderer Länder profitiert, hier hergestellte Produkte zu kaufen. Und weil Deutschland stets mehr exportierte als importierte, haben andere Länder, beschäftigungspolitisch gesehen, laufend Nachteile in Kauf genommen. Bisher waren davon zumeist die anderen Industrieländer betroffen, aber doch auch die Entwicklungs- und Schwellenländer. Ist es nicht überfällig, dass sie ihre Märkte mit eigenen Produkten versorgen und dadurch ihre Arbeitslosigkeit und Armut senken können? Hinter dieser Frage wartet gleich die nächste, viel grundsätzlichere: Wem gehören eigentlich die Märkte dieser Welt? Sollte es Unternehmen zu jeder Zeit und überall gestattet sein, durch ihre Waren ortsansässige Anbieter vom Markt zu verdrängen? Der Schlossereibetrieb in Spanien, der in der vierten Generation seinen lokalen Markt mit Eisenwaren beliefert – darf er plötzlich durch billige deutsche Importe aus der Produktion verdrängt werden? Darf der Bäuerin im Sénégal das Einkommen zur Existenzsicherung ihrer Familie wegbrechen, weil Tomatenmark-Importe aus der EU ihren Tomantenanbau für die lokale Fabrik überflüssig gemacht haben? Die Sicherung von Arbeitsplätzen über eine boomende Exportwirtschaft ist aus deutscher Sicht verlockend. Doch wie kann Deutschland gerechtigkeitsfähig werden, so lange es sich am Ausland bereichert?

Die Globalisierung der Wirtschaft bricht endgültig mit dem Verständnis, dass Märkte in nationale politische Gemeinschaften eingebettet sind. Die totale Liberalisierung der Kapital- und Gütermärkte treibt die Vorstellung auf die Spitze, dass jedes Unternehmen und jeder Konsument überall und zu jeder Zeit frei anbieten und nachfragen können, was sie möchten, und dabei auch nicht durch wohlerwogene Restriktionen der ortsansässigen Bevölkerung eingeschränkt werden dürfen. Doch vergisst diese rein ökonomische Betrachtungsweise, dass Wirtschaft und Märkte weit mehr Funktionen leisten, als nur ein Angebot von Waren bereitzustellen. Landwirte produzieren nicht nur Weizen und Raps, sondern reproduzieren auch das lokale Landschaftsbild und die Ökosysteme; öffentliche Verkehrsbetriebe bringen nicht nur Pendler von A nach B, sondern prägen die Infrastruktur und die räumliche Entwicklung von Städten und Regionen. Designer entwerfen nicht nur einen Werbeprospekt für ihre Kunden, sondern beeinflussen auch das jeweilige Verständnis von Kunst und Ästhetik im öffentlichen Raum. Aller Orten bietet die Wirtschaft nicht nur Arbeitsplätze gegen Lohn, sondern über die Arbeit definieren Menschen ihre Kultur und Identität. Wenn es bloß noch darum geht, dass sich der effizienteste und stärkste Anbieter weltweit durchsetzt, werden die sozialen, kulturellen und ökologischen Aspekte des Wirtschaftens von ihren lokalen Wurzeln gelöst. Sie werden uniformiert oder entschwinden ganz. Insofern ist der Verlust der lokalen Wirtschaftskapazität an den Exportweltmeister Deutschland nicht nur eine Frage der ökonomischen Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der Vielseitigkeit und Nachhaltigkeit der Welt. Wirtschaftliche Entwicklung kann nur dann nachhaltig sein, wenn Märkte und Wirtschaften sozial eingebettet sind und von politischen Gemeinschaften geordnet werden (®Kapitel 9).

Bereitschaft zur Umverteilung

Die Bereitschaft, die Rolle Deutschlands in der Weltwirtschaft zu überdenken, wird nur entstehen, wenn die einzelnen Menschen hierzulande in den Folgen einer gerechteren Weltwirtschaft aufgefangen werden. Arbeitnehmer sind heute zunehmend ungeschützt dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Politiken der sozialen Sicherung und der gerechteren Umverteilung in Deutschland, wie etwa eine Grundsicherung und Arbeitszeit-Reformen, die die verbleibenden Arbeitsplätze auf alle Bürgerinnen und Bürger verteilen, können eine Grundlage schaffen für Deutschlands Beitrag zu mehr ökonomischer Gerechtigkeit in der Welt (®Kapitel 18). Der Transfer von wirtschaftlichem Wohlstand in den Osten und Süden der Welt darf auch dort nicht zu einer sozialen Polarisierung führen. Gegenwärtig profitieren in den Gewinner-Ländern der Globalisierung in erster Linie die Eliten (®Kapitel 2).

5.4 Abhängigkeit vom Export

Unterm Strich kann von einer Umverteilung des wirtschaftlichen Wohlstands aus Deutschland in die Welt bisher noch kaum die Rede sein; eher findet eine Umverteilung des Reichtums von anderen Ländern nach Deutschland statt. Im internationalen Vergleich erscheint Deutschland immer noch als einer der größten Globalisierungsgewinner. Doch gerade deswegen ist zu fragen, ob die zunehmende Globalisierung schon aus ökonomischen Gründen diesem Land auf lange Sicht zugute kommen wird.

Ausgedünnte Wertschöpfung

Bereits seit einigen Jahren warnt Hans Werner Sinn, der Präsident des Münchner ifo-Instituts, vor einem bedenklichen Strukturwandel in der deutschen Wirtschaft.[xxvi] Deutschland entwickele sich schleichend zu einer Basar-Ökonomie, die die Welt mit ihrer breiten Produktpalette beliefert, doch einen wachsenden Wertanteil ihrer Produkte in ihrem osteuropäischen Hinterland produzieren lässt. „Die Deutsche Wirtschaft wird quasi zu einem Durchlauferhitzer für Industrieprodukte, die auf ihrem Weg von der Slowakei nach Amerika die deutschen Statistiken passieren.“[xxvii]

Sinns Argumentation wurde zwar angegriffen, denn wenn Deutschland immer mehr Vorprodukte im Ausland fertigen lassen würde, müssten die Importe ja stärker steigen als die Exporte. Da Deutschland aber einen wachsenden Exportüberschuss hat, könne nicht von einem pathologischen Exportboom die Rede sein.[xxviii] Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die sinkende Wertschöpfung innerhalb Deutschlands trotz steigender Exporte die heimische Industrie ausdünnt. Dies zeigt sich zum einen daran, dass der Importanteil an den Exporten zwischen 1995 und 2005 von 31 auf 42 Prozent gestiegen ist.[xxix] Zum anderen zeigt es sich daran, dass der Anteil der Wertschöpfung an den Exporten zwischen 1980 und 2000 in Deutschland um rund 80 Prozent und damit weit stärker gefallen ist, als in den meisten anderen Industrie- und auch Entwicklungsländern.

Eine derartige Entwicklung wäre vielleicht nicht problematisch, wenn die Exportsteigerungen auch weiterhin die sinkende Wertschöpfungsquote ausgleichen würden. Doch ist es weder realistisch noch wünschenswert, dass Deutschland in der langen Frist seine Exporte immer weiter steigert. Bereits heute ist die deutsche Wirtschaft extrem von ihren Exporten abhängig. 1950 betrug der Anteil der Exporte am gesamten Bruttoinlandsprodukt noch rund 6 Prozent, bis 2006 kletterte er auf 44 Prozent.[xxx] Bald könnte jeder zweite Euro, den die Deutschen in die Hand nehmen, aus dem Verkauf von Waren im Ausland kommen. Die Risiken einer so großen Exportabhängigkeit liegen auf der Hand: Schon kleinere Verwerfungen auf den globalen Märkten können spürbare Auswirkungen auf Unternehmensumsätze, Einkommen und Arbeitsplätze haben.

Wird die Globalisierung dauern?

Es ist durchaus möglich, dass auf die Phase der beschleunigten Globalisierung in absehbarer Zeit eine Phase der Entschleunigung, wenn nicht gar der Entglobalisierung folgt. Raphael Kaplinsky, Ökonomieprofessor am britischen Institute for Development Studies, möchte empirisch nachweisen, dass die Weltwirtschaft einem pulsierenden Modell folgt: Einer Phase der globalen Integration während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgte nach 1913 eine Phase der Entglobalisierung bzw. des Protektionismus; sie wurde ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder von einer Phase der beschleunigten Integration abgelöst.[xxxi] Kann es sein, dass in vorhersehbarer Zeit wieder eine Phase des Rückbaus anbricht?

Erste Anzeichen dafür finden sich bereits in der betriebswirtschaftlichen Praxis. In einigen Branchen und vor allem bei mittelständischen Unternehmen zeichnet sich eine Trendumkehr bei den Produktionsverlagerungen ab. Nachdem seit Beginn der 1990er Jahre zahlreiche Produktionsstätten nach Osteuropa oder Ostasien, dort vor allem nach China, verlagert worden waren, haben seit der Jahrtausendwende rund 3.500 Firmen aus den Branchen Metall und Chemie ihre Produktionsstätten nach Deutschland zurück geholt.[xxxii] Viele Firmen mussten erkennen, dass niedrige Arbeitskosten und geringe Steuersätze alleine noch keinen wettbewerbsfähigen Produktionsstandort ausmachen. Zu berücksichtigen ist auch die niedrigere Produktivität; zudem steigen auch in den Billigländern die Reallöhne. Auch ein multinationaler Konzern wie Adidas hat angekündigt, die Produktion von Sportartikeln aus Asien wieder zurück nach Europa zu holen. Eine empirische Untersuchung für mehrere europäische Länder stellt fest, dass heute je nach Branche bereits auf jede zweite bis sechste Produktionsverlagerung eine Rückverlagerung kommt.[xxxiii]

Unklare Aussichten

Zudem sprechen politische Gründe dafür, dass das Zeitalter der beschleunigten Globalisierung zur Neige geht. Auf internationaler Ebene stocken die WTO-Verhandlungen der Welthandelsorganisation aufgrund der großen Interessensunterschiede der Verhandlungsparteien, so dass selbst bei einem Abschluss der gegenwärtigen Verhandlungsrunde, der sogenannten Doha-Runde, die auf eine weitere Liberalisierung des Handels abzielt, keine nennenswerten Ergebnisse zu erwarten sind; zu hoffen ist vielmehr, dass den Ländern wieder mehr Schutzmaßnahmen eingeräumt werden (®Kapitel 17). Auch in den Nationen stellen die Bürger eine Politik der Globalisierung zunehmend in Frage. Umfragen von Meinungsforschungs-Instituten zeigen für Europa und die USA, dass mittlerweile mehr Menschen aus der Globalisierung Nachteile statt Vorteile erwarten.[xxxiv] Die Politik der Globalisierung verliert also an Legitimation.

Schließlich werden die Preise für Fernverkehr und Warenhandel drastisch ansteigen, wenn der Peak Oil überschritten ist und sich die Treibstoffe weiter verteuern (®Kapitel 1). Auch die unaufschiebbaren rigorosen Maßnahmen des Klimaschutzes werden das verstärken. So hat schon im Jahr 2000 der Ölpreisanstieg um 60 Prozent zu einem Einbruch der deutschen Exporte um knapp 5 Prozent geführt.[xxxv] Es ist nicht ausgemacht, ob sich nicht die Epoche der Globalisierung, wie der amerikanische Autor James H. Kunstler in einem Bonmot bemerkte, als „the Indian summer of the oil age“ herausstellen wird.[xxxvi]

5.5 Exportweltmeister – worin?

Trägt der Exportweltmeister Deutschland dazu bei, dass der Übergang zu einer ressourcenleichten Weltwirtschaft gelingt? Eine große Schar von Ingenieuren, Managern, Aktivisten und Wissenschaftlern hat sich in den letzten dreißig Jahren daran gemacht, die Herausforderungen dieses Übergangs zu erkunden. Drei Denk- und Strategiensätze kehren dabei immer wieder: Suffizienz, Konsistenz, Effizienz. Suffizienz fragt nach dem zuträglichen Maß von Produktion und Konsum, Konsistenz nach naturverträglichen Technologien, und Effizienz nach der möglichst wirksamen Nutzung einer Ressource (®Kapitel 7). Diese Erfordernisse bieten sich auch als  Maßstäbe an, um den deutschen Außenhandel einer ökologischen Bewertung zu unterziehen.

Transportintensive Verflechtung

Was die Suffizienz betrifft, werden sich Regierungen und Unternehmen, auch die deutsche Außenwirtschaft, in Zukunft fragen müssen, wie viel Welthandel tatsächlich erforderlich und sinnvoll ist. Das ist eine politische, keine ökonomische Frage. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird sich der Handel mit Waren oder die Verlagerung von Produktionsstandorten immer dann als sinnvoll erweisen, wenn sich Gewinne erzielen und Kosten einsparen lassen. Aus klima- und umweltpolitischer Sicht spielen indes andere Kriterien eine größere Rolle. Nicht nur die vielen Fernreisen der Deutschen und die im Ausland verkauften Transportdienstleistungen sorgen für ein erhebliches Verkehrsaufkommen, sondern auch der Handel mit den immer mehr werdenden Import- und Exportgütern. Und der Aufbau von transnationalen Produktketten, die die Herstellung eines einzigen Produkts über mehrere Länder auffächern, führt schon zu vermehrten Emissionen innerhalb von Unternehmen, bevor die Ware überhaupt den Kunden erreicht.

Logistische Optimierungspotenziale von Unternehmen

 

Während der Personenverkehr auf hohem Niveau stagniert, wächst der Güterverkehr in Deutschland weiter rapide an: Bis zum Jahr 2030 ist mit einem Anstieg des Gütertransportaufwandes auf 785 Mrd. Tonnenkilometer im Jahr 2030 zu rechnen – gegenüber 417 Mrd. Tonnenkilometern im Jahr 1995 bedeutete das eine Steigerung um fast 90 Prozent. [xxxvii] Zunehmender Güterverkehr muss aber nicht zwingend mit wachsenden Emissionen von Klima­gasen verbunden sein, wie ein Beispiel verdeutlicht: 

Das weltweit größte Versandhaus Otto verfolgt seit Ende der 1980er Jahre eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie. Bereits 1986 wurde der Umweltschutz zum ausdrücklichen Unternehmensziel erklärt und seit 1993 wurde beschlossen, die durch den Transport von Gütern bedingten CO2-Emissionen bis 2005 tonnagebereinigt um 45 Prozent im Vergleich zum Ausgangsniveau im Jahr 1993 zu mindern. Bereits 2003 hatte der Versand­händler dieses Ziel mit einer Reduktion um 51 Prozent erreicht, 2006 betrug die Minderungsquote sogar 56 Prozent. Diese Halbierung der Kohlendioxidemissionen in einem Zeitraum von 10 Jahren wurde durch eine Neuorganisation der Logistik erreicht. Die Textilien, die den größten Teil im Warenangebot des Vershandelshauses bilden, werden zumeist in Ostasien produziert. Dafür wurde ein großer Teil der früher vorwiegend per Luftfracht beförderten Kleidungsstücke auf Seefracht verlagert: Der Anteil der per Schiff oder im kombinierten See-Luft-Verkehr beförderten Waren betrug im Geschäftsjahr 2004/2005 schon 71,6 Prozent. Dabei bildet der kombinierte Verkehr einen Kompromiss zwischen den Unternehmenszielen Zeitersparnis und Emissionsvermeidung. Die Ware wird nun von Hongkong bis Dubai per Schiff transportiert und dort auf das Flugzeug verladen. Das bringt gegenüber dem 26-tägigen reinen Schiffstransport eine Zeitersparnis von 10 Tagen und gegenüber dem vollständigen Transport per Flugzeug eine Senkung des CO2-Ausstoßes um mehr als 40 Prozent. Neben der Reduktion der Emissionen machte die Verlagerung für das Unternehmen auch ökonomischen Sinn: Die Transportkosten konnten zwischen 2000 und 2003 um 2,16 Mio. Euro reduziert werden.[xxxviii]

 

Noch vor zwei Jahrzehnten erzeugte Audi den größten Teil seiner Autoteile in Deutschland. Doch nach dem Fall der Mauer wurde die Produktion arbeitsintensiver Teile nach Osteuropa verlagert. Inzwischen ist die gesamte Motorenproduktion nach Ungarn übersiedelt. Aus ökonomischer Sicht war das eine sinnvolle Strategie, da sie allein im Zeitraum zwischen 1997 und 2006 durch steigende Wettbewerbsfähigkeit zu einer Umsatzsteigerung von 172 Prozent geführt hat.[xxxix] Doch unter Klimagesichtspunkten hat die Verlagerung nur Nachteile gebracht. Die Produktion in Ungarn ist nicht ressourceneffizienter als in Deutschland, aber das Transportaufkommen ist enorm gestiegen.

Die Zunahme des Flugverkehrs belastet das Klima besonders stark. Schätzungen gehen von einer zwei- bis vierfach erhöhten Klimawirkung des Luftverkehrs gegenüber dem bodennahen Verkehr aus. Derzeit werden weltweit zwar 40mal mehr Waren per Schiff als per Flugzeug transportiert, aber der Luftfrachtverkehr verursacht bereits halb so viele Treibhausgasemissionen.[xl] Beim Verkehr zu Wasser enthält das in den Schiffsmotoren eingesetzte Schweröl ein Sammelsurium von Schmutz-Chemie, unter anderem stark schwefelhaltige Abfallprodukte des Raffinerie-Prozesses der Treibstoffe für Flug- und Straßenverkehr, die sonst als Sondermüll entsorgt werden müssten. Doch Treibstoffe für den Schiffsverkehr unterliegen praktisch keinen gesetzlichen Bestimmungen. So kommt es, dass ein Riesenfrachter wie die „Emma Maersk“, die vom Kinderspielzeug über T-Shirts bis zu Fernsehern laufend chinesische Waren nach Europa bringt, nicht nur rund 300.000 Tonnen CO2 pro Jahr emittiert – so viel wie ein mittleres Kohlekraftwerk – sondern dabei je Tonnenkilometer bis zu 300 Mal so viele Schadstoffe ausstößt, wie ein durchschnittlicher LKW.[xli] Allein der Transport deutscher Importe und Exporte rund um den Globus verursachte mit 62 Mio. Tonnen CO2 heute bereits deutlich mehr Treibhausgase, als der Transport aller Waren innerhalb Deutschlands (56 Mio. Tonnen CO2).[xlii] Mit solchen Zahlen wird die Reduktion der weltweiten CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 Prozent nicht zu erreichen sein. Das kann nur mit einer Strategie gelingen, welche durch Emissionsgrenzwerte für Transporte und durch Emissionszertifikate eine von der Sache her nicht erforderliche Globalisierung von Warenströmen unrentabel macht.

Tabelle 5.3: Transport deutscher Im- und Exporte im Ausland (1995-2005).

  1995 2005
Warenhandel in Mrd. Euro 
Exporte 428,7 890,8
Importe 395,7 745,6
Zusammen 824,4 636,3
Transportierte Gütermenge in Mio. Tonnen
Exporte 245 390
Importe 491 599
Zusammen 736 989
Güterbeförderungsleistung in Mrd. Tonnenkilometern
Exporte 535 728
Importe 1623 2046
Zusammen 2158 2774
Davon: Güterbeförderung in Deutschland 431 564
             Güterbeförderung im Ausland 2588 3315
Transportbedingte CO2-Emissionen in Mio. Tonnen
Exporte 12,3 18,8
Importe 30,0 42,5
Zusammen 42,5 61,3
Vergleich: Gesamtwarenverkehr innerhalb                  Deutschlands  50,2  56,4

Quelle: Statistisches Bundesamt 2007b.

Unverträglichkeit der Exporte

Die Frage „Welche Waren sind naturverträglich?“ lenkt die Aufmerksamkeit auf Konsistenz, das heißt auf die ökologische Qualität der Wirtschaftstätigkeit. Damit muss ein wesentlicher Teil der deutschen Exporte in der Zukunft auf den Prüfstand gestellt werden. Dies gilt besonders für den deutschen Exportschlager, das Automobil. Die Exporte von Fahrzeugen aus Deutschland als auch die Produktion deutscher Autos im Ausland haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Im Jahr 2006 trugen knapp 17 Prozent aller weltweit produzierten Kraftwagen ein deutsches Markenzeichen, und mit 5,4 Millionen produzierten Fahrzeugen wurde in diesem Jahr eine neuer Rekord erreicht.[xliii] Doch was die Hersteller mit Stolz erfüllen mag, ist ökologisch fragwürdig. Schon für sich genommen sind Absatzsteigerungen im Automobilsektor ökologisch bedenklich. Hinzu kommt, dass die deutsche Automobilindustrie vergleichsweise langsam ist, was Innovationen betrifft, die den Material- und Energieverbrauch von Autos senken. Der durchschnittliche Flottenverbrauch der deutschen Firmen VW, BMW und Daimler betrug im Jahr 2006 173 g CO2 pro km und lag damit fast 30 g über dem Durchschnittsverbrauch italienischer und französischer Hersteller, und immer noch 12 g über dem der japanischen Autobauer.[xliv] Dazu aber haben die deutschen Autobauer ihre Exporte nicht bei ihren sparsamen und leichten Modellen gesteigert, sondern vor allem im so genannten Premiumbereich, bei Luxusschlitten, Sportwagen und Geländefahrzeugen (Sports Utility Vehicles; SUVs), die sich durch einen überdurchschnittlich hohen Spritverbrauch auszeichnen. Anstatt wenigstens den Export von Autos mit dem Ziel zu verbinden, besonders öko-effiziente Autos zu vermarkten, rüstet die deutsche Automobilindustrie die Welt mit Modellen auf, die die internationalen Anstrengungen zum Klimaschutz konterkarieren.

Den Außenhandelskorb grünen

In vielen der gegenwärtigen Exportsektoren schlummern noch erhebliche ökologische Effizienzpotentiale. Gerade weil das Produzierende Gewerbe derzeit die wichtigste Säule der Exporte ist, gibt es in diesem Sektor beträchtliche Möglichkeiten für eine Effizienzrevolution (®Kapitel 11). Wenn Produktivitätssteigerungen nicht mehr durch Einsparung von Arbeit gesucht werden sondern durch wirksamere Nutzung von Energie und Ressourcen, dann werden Barrels an Öl, Schüttmeter Kohle, Tonnen von Kupfer sowie Abfall und Abwärme überflüssig gemacht. Da in vielen Betrieben des Produzierenden Gewerbes die Material- und Rohstoffkosten bereits über den Arbeitskosten liegen, wird sich diese Strategie sogar auszahlen, wenn weltweit die Nachfrage nach öko-effizienten Produkten steigt.

Zeitfenster 2022: Grüner Goldrausch bei den Ölscheichs

 

Seit der abrupten Eskalation der Ölpreise infolge der immer schwächeren Ausbeute auf den Ölfeldern haben verschiedene Staatsfonds der OPEC massiv in Unternehmen investiert, die Solarstrom in der Wüste produzieren. Vor allem Algerien, Libyen und Iran haben sich nach einer anfänglichen Phase des Zögerns an die Spitze der Solarstromproduktion in den Regionen Nordafrika und Persischer Golf gesetzt. Derzeit wird der Strom noch im Inland eingesetzt. Er hilft – gemeinsam mit Anstrengungen, die Energieeffizienz zu steigern – Erdöl und Erdgas einzusparen und stattdessen auf den internationalen Energiemärkten höchst profitabel zu verkaufen. Laut der jüngsten Regierungserklärung von Scheich Abdul-Sol wird Saudi-Arabien ebenfalls in die Solarstromproduktion einsteigen – und mit ihm auch die anderen Mitglieder des Golf-Kooperationsrates. Die hohe Solarstrahlung schafft in Nordafrika und am Persischen Golf ideale Voraussetzungen, erneuerbaren Strom zu produzieren.

Algerien geht bereits offensiv den nächsten Schritt: neben der Stromproduktion für den heimischen Verbrauch sollen die neuen Kraftwerke dem Land einen attraktiven neuen Exportmarkt eröffnen: Stromexport nach Europa. Zupass kommt diesem Vorstoß die starke Kostensteigerung der Kohleverstromung, beispielsweise durch die Einbindung einer CO2-Abscheidung. Der Transportverlust des Stroms über mehrere tausend Kilometer liegt mit zehn Prozent noch im tolerierbaren Bereich.

Parallel dazu haben europäische Energiemultis ihre Forschungsabteilungen im Bereich erneuerbarer Energien massiv ausgeweitet. Damit laufen sie jedoch dem Trend nur noch hinterher. Das weltweit größte Forschungszentrum für erneuerbare Energien mit Hauptsitz in Algier wird inzwischen von der OPEC finanziert und bringt nicht nur führende Forschungsgruppen zusammen, sondern auch Unternehmer und Bankiers, um die direkte Umsetzung voranzutreiben. „Natürlich verdienen wir auch nach unserem Peak immer noch gut am Ölexport“, so Scheich Sultan Ahmed Al-Jabal (43), Fondsmanager bei „Saudi Invest“, süffisant gegenüber US-amerikanischen und europäischen Delegationen, „doch erstens schaffen unsere Investments für Saudi-Arabien ein weiteres Wirtschaftsstandbein und zweitens sichern wir uns eine strategische Stellung in der Energieversorgung. Ich kann mir heute kaum mehr vorstellen, dass Saudi Arabien noch zu Beginn des Jahrhunderts gegen erneuerbare Energien eingestellt war.“ so Al-Jabal weiter.

 

Zum anderen aber wird sich die Exportwirtschaft Deutschlands auf den Niedergang der fossil-geprägten Globalisierung vorbereiten müssen. In der Zukunft werden vor allem Konzepte und Ideen gefragt sein, wie bei steigender Weltbevölkerung und Nachfrage die begrenzten Ressourcen fair verteilt werden können. Deutschland ist gut beraten, seine Exportstruktur von einer Werkbank für Maschinen zu einem Dienstleister für ressourcen-effiziente Technologien, intelligente Mobilität und umweltfreundliche Versorgung und Entsorgung weiterzuentwickeln (®Kapitel 17). Dabei wird es nicht genügen, etwa vom Export Benzin schluckender Limousinen auf den Export ressourcenleichterer Autos umzustellen; wichtiger ist, dass Deutschland Ideen entwickelt und exportiert, wie die wachsende Weltbevölkerung mit öffentlichem Verkehr mobil werden und bleiben kann.

5.6 Zwischenfazit: zu ambivalent

Als Exportweltmeister verdient die Bundesrepublik daran, dass andere Länder deutsche Waren kaufen. Hierzulande können durch die anhaltende Steigerung der Exporte Arbeitsplätze geschaffen, Unternehmensgewinne optimiert und insgesamt das viel beschworene Wirtschaftswachstum gehalten werden. Doch die forcierte Globalisierung hat auch ihre Schattenseiten.

Innerhalb Deutschlands hat die Exportsteigerung zwar zu ökonomischen Gewinnen geführt, doch diese Strategie wurde sozialpolitisch nicht entsprechend abgefedert. Seit einigen Jahren sinken die Löhne im Durchschnitt der Bevölkerung, und gleichzeitig polarisieren sich die Einkommen. Die Bundesrepublik hat es versäumt, die Exportgewinne in einer Weise umzuverteilen, dass Vielverdiener von ihren Einkünften an die anderen Einkommensklassen abgeben und das Sterben der Mittelschicht verhindert wird. Zudem manövriert die starke Exportorientierung das Land in eine bedenkliche Abhängigkeit vom Weltmarkt. Es ist bedauerlich, dass Deutschland Leuchtturm bei den Exporten und der Gewinnentwicklung von Unternehmen ist, aber Schlusslicht in der Bildungs-, Sozial- und Lohnpolitik.

Während Deutschland durch Exportsteigerungen gewinnt, werden anderswo Produzenten durch diese Exporte aus dem Markt gedrängt. Viele Länder haben gegenüber der Bundesrepublik mit negativen Handelsbilanzen zu kämpfen und müssen beschäftigungspolitisch Nachteile in Kauf nehmen. In dieser Hinsicht eignet sich Deutschland nicht nur einen überproportional hohen Anteil des global begrenzten Umweltraumes an (®Kapitel 4), sondern – so ließe sich das Bild übertragen – auch einen überproportional hohen Anteil des gegenwärtigen Weltwirtschaftsraums. Dabei trägt das Land nicht durch aktive Politiken dazu bei, dass vom eigenen Wohlstand an ärmere Länder, vor allem im Süden, abgegeben wird. Im Gegenteil: während Deutschland seine Exporte stetig steigert, wird die wirtschaftliche Kluft zwischen den Gewinner- und Verliererländern im Welthandel stetig größer. Eine Politik der „Internationalen Gerechtigkeit und globalen Nachbarschaft“, welche die die Studie ‚Zukunftsfähiges Deutschland’ vor zwölf Jahren gefordert hatte, ist ausgeblieben.

In ökologischer Hinsicht ist dabei besonders problematisch, dass die Exportsteigerungen Deutschlands ohne Rücksicht auf die Krise der Biosphäre erfolgt. Noch immer strebt Deutschland eine Exportsteigerung in Sektoren wie Chemie oder Automobil an, die durch hohen Ressourcenverschleiß in der Produktion und Umweltprobleme im Konsum gekennzeichnet sind. Auch indem ein guter Teil deutscher Direktinvestitionen in diese Sektoren ins Ausland fließt, baut Deutschland somit an einer Weltwirtschaftsstruktur mit, die nicht zukunftsfähig ist. Deutschlands Gewinne auf den Weltmärkten werden zu einem guten Teil mit der Ausdehnung der ökologischen Raubökonomie auf die Schwellenländer eingefahren. Die Ökologisierung der Außenwirtschaftspolitik mit einer Handelspolitik für den gerechten Ausgleich zu verknüpfen wird somit die Aufgabe sein, der sich das Land im Namen der Zukunftsfähigkeit stellen muss.

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[i] Inklusive Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen; Deutsche Bundesbank 2007b, S. 6

[ii] Deutsche Bundesbank 2007b, S. 8ff

[iii] Deutsche Bundesbank 2007b, S. 8ff

[iv] Menzel 1998

[v] Dieter 2008

[vi] Statistisches Bundesamt 2007a

[vii] Deutsche Bundesbank 2007b, S. 6

[viii] Zarsky 2005, VENRO 2007

[ix] Dicken 2007

[x] Hengsbach 2007

[xi] Deutsche Bundesbank 2007a

[xii] Deutsche Bundesbank 2007a

[xiii] Asian Development Bank 2007

[xiv] Dieter 2008

[xv] FAZ, 22.10.2007, S. 13

[xvi] siehe auch Wuppertal Institut 2005. S. 63ff.).

[xvii] IMF 2007

[xviii] Samuelson 2004; so auch Freeman 2005

[xix] Scheve/Slaughter 2007

[xx] DIW 2008

[xxi] siehe z.B. Samuelson/Nordhaus 2005

[xxii] Statistisches Bundesamt 2006a, S. 247

[xxiii] Binder 2007

[xxiv] Deutsche Bundesbank 2007a, S. 6

[xxv] Matthes 2007, S. 111

[xxvi] Sinn 2005

[xxvii] Sinn 2006, S. 5 und S. 10

[xxviii] so z.B. Hahlen 2006

[xxix] Statistisches Bundesamt 2006b

[xxx] Kaplinsky 2005 und Deutsche Bundesbank 2007b

[xxxi] Kaplinsky 2005, S. 22f

[xxxii] Der Spiegel, 24.9.2007

[xxxiii] Kinkel/Dachs/Ebersberger, Bernd 2007, S. 51

[xxxiv] z.B. Gallup International, Voice of the People, October 2006; Financial Times/Harris Poll Juli 2007

[xxxv] Matthes 2007, S. 41

[xxxvi] Kunstler 2005

[xxxvii] Wuppertal Institut 2006, S. 35

[xxxviii] Otto 2007

[xxxix] Audi 2006, S. 209; Dieter 2008.

[xl] Europäisches Parlament 2007

[xli] Vidal 2008; ICCT 2007

[xlii] Statistisches Bundesamt 2007b

[xliii] VDA 2007

[xliv] European Federation for Transport and Environment 2007