Effizienzrevolution

Veröffentlicht als: Santarius, Tilman: Entkopplung. In: Bauriedl, Sybille (Hrsg.): Wörterbuch Klimadebatte. Bielefeld, 2015, 51-55.

Im gegenwärtigen umweltpolitischen Diskurs wird die Steigerung der Energieeffizienz als zentrale Strategie zur absoluten Verringerung der Energienachfrage gehandelt. Wenn der industrielle Kraftwerkspark, der Gebäudebestand, Mobilität und Konsumgüter wesentlich energieeffizienter würden, so wird angenommen, dann ginge der Energieverbrauch in absoluten Zahlen so stark zurück, dass er zukünftig vollständig aus erneuerbaren Energie gedeckt werden könnte und die Treibhausgasemissionen auf nachhaltige Niveaus einschwenken. Doch diese Hoffnung beruht auf einem Irrtum: Effizienzsteigerungen führen nicht eins zu eins zu Einsparungen. Sie rufen Rebound-Effekte hervor, die die Produktion und den Konsum antreiben und damit einen erheblichen Teil des Einsparpotential auffressen.

Effizienzgewinne schaffen neuen Ressourcenverbrauch

Seit langem bestimmt die Annahme, dass ‚Effizienz’ mit ‚Sparsamkeit’ gleichgesetzt werden kann, das Denken und Handeln von Politiker_innen, Unternehmer_innen und Konsument_innen. Diesen Mythos hatte der britische Ökonom William Stanley Jevons zwar schon von 150 Jahren als Paradox bezeichnet und nachgewiesen, dass technologische Innovationen zu immer mehr Ressourcenverbrauch geführt haben. (Jevons 1865: 102); und heute wird das von Jevons identifizierte Paradox auch als Rebound Effekt diskutiert. Nichtsdestotrotz gehen viele wissenschaftliche Szenarien wie auch Studien mit konkreten klima- und energiepolitischen Empfehlungen nach wie vor davon aus, dass mittels Energieeffizienzsteigerungen der absolute Verbrauch an Energie drastisch und auf ein langfristig nachhaltiges Niveau gesenkt werden könne (z.B. BMWI 2010; WWF 2010). So schätzt etwa die Internationale Energieagentur: „energy efficiency improvements across the end-use sector have the potential to achieve 52% of the CO2 emissions reduction required by 2030 to contain atmospheric CO2 concentrations at 450 ppm“ (IEA 2009: 211). Der Beitrag von Energieeffizienzsteigerungen zur Verminderung von Emissionen sei damit größer als der von jeder anderen Strategie, inklusive etwa dem Umstieg auf erneuerbare Energieträger oder der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) (ebd.).

Indessen postuliert das Konzept des Rebound-Effekts, dass ein Kausalverhältnis zwischen der Steigerung der Effizienz und der Steigerung der Expansion bzw. Nachfrage besteht: ein Rebound-Effekt ist definiert als eine Steigerung der (Energie-)Nachfrage, die durch eine Steigerung der (Energie-)Effizienz hervorgerufen wurde. Doch Rebound-Effekte werden bis heute in den meisten Energie- und Klimaschutzstudien und -politiken nicht angemessen berücksichtigt. Der fünfte Assessment Report des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erwähnt Rebounds zwar an mehreren Stellen, betont aber vor allem den mangelnden Forschungsstand zum Thema (IPCC 2014: 98; 249f., 390f.; 707f.; 1168f.). In ihrem jüngsten Sondergutachten zur Energieeffizienz widmet die IEA dem Rebound-Effekt mehrere Abschnitte, zieht aber widersprüchlich Schlussfolgerungen: Einerseits wird der Rebound-Effekt als „one of the most persistent challenges in energy efficiency policy“ bezeichnet; andererseits wird konstatiert, dass „[w]here energy savings are ‚taken back’ in the achievement of health benefits, poverty alleviation, or improving productivity, the rebound effect can be viewed as having a net positive outcome“ (IEA 2014: 20); womit unterstellt wird, dass Nachteile der Effizienzsteigerung – hier: der wachsende Verbrauch – gegen vorteilhafte Begleiterscheinungen (‚co-benefits’) aufgerechnet werden könnten, so dass netto ein ‚Nutzengewinn’ erfolge. Insgesamt erklärt die IEA Energieeffizienz als „a key tool for boosting economic and social development“ gepriesen (ebd.).

Unerwünschte Nebenfolgen der Effizienz

Rebound-Effekte lassen sich auf unterschiedliche Mechanismen zurückführen. Zunächst können sie finanziell erklärt werden: Effizientere Technologien sparen häufig Geld ein, das man an anderer Stelle für Konsum oder Investitionen ausgeben kann. Wenn eine Autofahrerin von einem konventionellen PKW mit einem Spritverbrauch von sechs Litern pro 100 Kilometer auf ein Drei-Liter-Auto umsteigt, kostet sie ihr Benzinverbrauch nur noch die Hälfte. Sie kann für das gleiche Geld nun doppelt so weit fahren. Genauso können Unternehmer_innen durch Effizienzersparnisse kostenneutral mehr produzieren. In beiden Fällen hat die Verbesserung der Energieeffizienz keine effektive Einsparung von Energie zur Folge. Selbst wenn das gesparte Geld in weniger energieintensive Dienstleistungen investiert wird, etwa in Friseurbesuche oder Volkshochschulkurse, werden immer noch gewisse Rebound-Effekte eintreten. Denn in modernen Gesellschaften, die auf Massenproduktion und -konsum basieren, werden dann auch die Friseure oder Lehrerinnen mehr konsumieren.

Zudem können materielle Rebound-Effekte auftreten, wenn die Herstellung effizienterer Geräte und Maschinen dazu führt, dass sich ein zunehmender Anteil des Energieverbrauchs vom Endkonsum in die Produktion verlagert. Um beispielsweise die tatsächliche Energiebilanz eines Elektroautos zu erstellen, reicht es nicht aus, lediglich auf dessen Verbrauch zu schauen. Auch der Energieaufwand für den Aufbau neuer Produktionsstätten und Stromtankstellen wird das Einsparpotenzial jedes einzelnen E-Autos reduzieren. Derzeit entfallen durchschnittlich 20 Prozent des Energieverbrauchs eines Autos auf die Produktion und 80 Prozent auf die Nutzung. Werden beispielsweise mehr Quecksilber oder Leichtbauteile aus Aluminium in hocheffizienten Fahrzeugen eingesetzt, steigt der produktionsbedingte Energieverbrauch.

Drittens lassen sich Rebound-Effekte motivational erklären. Denn effizientere Produkte verändern unter Umständen nicht nur ihre technischen, sondern auch ihre symbolischen Eigenschaften. Autofahrer_innen, die sich einen ihrer Meinung nach umwelt- und klimaschonenden PKW zugelegt haben (z.B. ein Hybridauto), könnten nun häufiger bzw. weitere Strecken fahren, weil sich ihre Einstellung oder ihr Verantwortungsgefühl gegenüber der Autonutzung verändert hat. Beispielsweise können Sie nun der Meinung sein, die Investition in ein energieeffizientes Fahrzeug rechtfertige dessen intensivere Nutzung; oder sie empfinden, dass sie ihre Verantwortlichkeit auf die Ingenieure des Fahrzeugs verlagert haben; oder sie verspüren weniger soziale Stigmatisierung der Autonutzung aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. Zahlreiche umweltpsychologische Studien legen nahe, dass manche Verbraucher_innen nach dem Konsum ‚ethischer’ Produkte an anderer Stelle durch vermehrten Konsum ‚unethischer’ Produkte reagieren (z.B. Khan/Dhar 2006; Longoni et al. 2014 u.a.).

Ferner geht die Steigerung der Energieeffizienz insbesondere im Verkehrs- und Kommunikationsbereich mit strukturellen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft einher. Zwei Jahrhunderte der technologischen Entwicklung von Verkehrstechnologien – von der Pferdedroschke über die Eisenbahn, PkW und Flugzeug – machen deutlich, wie die enormen Energieeffizienzsteigerungen bei der Fortbewegung von Waren und Passagieren zu einer Beschleunigung des Lebenstempos und der Umschlagszeit von Kapital beigetragen haben. Im Ergebnis ist nicht nur die Fortbewegung pro Kilometer energieintensiver geworden, sondern es sind gesellschaftliche Strukturen entstanden (z.B. Vororte mit Berufspendler_innen, Supermärkte auf der grünen Wiese usw.), die eine raschere Fortbewegung über weite Distanzen erforderlich machen. Ähnliche strukturelle Rebound-Effekte konnten in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Kommunikation beobachtet werden: Von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute ist die Energieeffizienz der Rechenleistung von Computern (performance per watt efficiency) um mehr als eine Billion Prozent gestiegen (Santarius 2015). Auch wenn die Rebound-Effekte dieser Effizienzrevolution noch nicht quantifiziert worden sind, dürfte unzweifelhaft sein, dass weder das Internet noch Laptops, Tablet-Computer oder Smart Phones ohne die beschriebene Effizienzrevolution in der Computertechnik hätten entwickelt werden können. Und ebenso unzweifelhaft erscheint es, dass es genau diese Medien waren und sind, die die historisch beispiellose Explosion zwischenmenschlicher Kommunikation ermöglicht und zur Beschleunigung des Lebens aber auch der Steigerung des Warenaustausches über größere Distanzen beigetragen haben.

Bei der Berechnung des quantitativen Ausmaßes von Rebound-Effekten liegen noch erhebliche Unsicherheiten und vor allem große Lücken vor (Santarius 2014). Immerhin liefern mehrere Meta-Studien eine Auswertung der mikro- und makroökonomischen Einzeluntersuchungen, deren Zahl sich inzwischen auf weit über 100 empirische Studien erstreckt (z.B. Greening/Greene 1998; Sorrell 2007; Maxwell et al. 2011). Aus ihnen lässt sich als Anhaltspunkt die Faustformel ‚fifty-fifty’ ableiten: Langfristig und im Mittel ist mit gesamtwirtschaftlichen (ökonomischen) Rebound-Effekten von mindestens 50% zu rechnen. Mit anderen Worten, im Schnitt werden Energieeffizienzsteigerungen einer Wirtschaft höchstens die Hälfte des theoretischen Einsparpotentials von Effizienztechnologien und -maßnahmen realisieren, mitunter auch weniger. Technologie- und Innovationsoffensiven werden also allein nicht ausreichen, um in den Industrieländern bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 oder gar 90 Prozent zu verringern. Das Konzept der ‚Effizienzrevolution’ greift zu kurz.

Jedoch sind deswegen die technischen und politischen Maßnahmen zur Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz nicht alle schlecht – im Gegenteil. Natürlich muss es darum gehen, Energie und Materialien möglichst sparsam einzusetzen. Es gibt keinen plausiblen Grund, statt einer konsequenten Dämmung von Häusern und Wohnungen die Wärme weiterhin zum Fenster und undichte Dächer hinaus zu heizen. Aber als ‚unerwünschte Nebenwirkungen’ der Effizienzrevolution zeigen Rebound-Effekte die Wachstumsgrenzen des Systems auf. Erst wenn die Wirtschaft aufhört zu wachsen, können Effizienzstrategien einen uneingeschränkt konstruktiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.

Literatur

BMWI – Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (2010): Energy Concept for an Environmentally Sound, Reliable and Affordable Energy Supply. Berlin. www.osce.org/eea/101047?download=true (23.06.2015)

Greening, Lorna / Greene, David L. (1998): Energy Use, Technical Efficiency, and the Rebound Effect: A Review of the Literature. Oak Ridge: Oak Ridge National Laboratory.

IEA – International Energy Agency (2009): World Energy Outlook 2009. Paris.

IEA – International Energy Agency (2014): Capturing the Multiple Benefits of Energy Efficiency. Paris.

IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change (2014): Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change. www.ipcc.ch/report/ar5/wg3 (23.06.2015)

Jevons, William Stanley (1865): The coal question: an inquiry concerning the progress of the nation, and the probable exhaustion of our coal-mines. Hrsg. von A. W. Flux, 1906. London.

Khan, Uzma / Dhar, Ravi (2006): Licensing Effect in Consumer Choice. In: Journal of Marketing Research 43(2): 259-266.

Longoni, Chiara / Gollwitzer, Peter M. / Oettingen, Gabriele (2014): A green paradox: Validating green choices has ironic effects on behavior, cognition, and perception. In: Journal of Experimental Social Psychology 50: 158-165.

Maxwell, Dorothy et al. (2011): Addressing the Rebound Effect. A report for the European Commission DG Environment. Brüssel.

Santarius, Tilman (2014). Der Rebound-Effekt: ein blinder Fleck der sozial-ökologischen Gesellschaftstransformation. In: GAIA 23(2): 109-117.

Santarius, Tilman (2015): Der Rebound-Effekt. Ökonomische, psychische und soziale Herausforderungen für die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch. Marburg: Metropolis.

Sorrell, Steve (2007): The Rebound Effect: an assessment of the evidence for economy-wide energy savings from improved energy efficiency. London.

WWF (World Wildlife Fund) (Hrsg.) (2010): Modell Deutschland. Klimaschutz bis 2050. Vom Ziel her denken. Frankfurt a.M.: Fischer-Verlag.